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C&M-1-2013 > Materialforschung und ihr Ergebnis am Beispiel der synthetischen Zeolithe

Materialforschung und ihr Ergebnis am Beispiel der synthetischen Zeolithe

Multitalentierte Molekularsiebe

Die Materialforschung und die Materialentwicklung sind heute tragende Säulen in der modernen Technologie und Indikatoren für den Fortschritt in unserer Gesellschaft. Sie umfassen die Bereiche Energieversorgung, Kommunikation, medizinische Versorgung und Gesundheitswesen – bis hin zur Umwelttechnologie im schonenden Umgang mit unseren Ressourcen. Die Materialforschung ist ein wissenschaftliches und technologisch äußerst
anspruchsvolles und komplexes Feld, dessen Ergebnisse und deren Umsetzung in die Praxis oft Jahrzehnte dauern. Während im vergangenen 20. Jahrhundert bahnbrechende Ergebnisse oft von einzelnen Gruppen oder Instituten erzielt wurden, ist dies heute aufgrund der Komplexität der Materie nicht mehr möglich. Notwendig ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von kompetenten und exzellenten Wissenschaftlern und Ingenieuren innerhalb eines Landes und über die Ländergrenzen hinweg.

Die Verfasser haben die Entwicklung einer Materialgruppe, nämlich die der synthetischen Zeolithe (oder Molekularsiebe), in Deutschland miterlebt und über Jahrzehnte tätig begleitet. Es handelt sich um kristalline mikroporöse Festkörper, die maßgeschneidert in fast allen Bereichen unseres täglichen Lebens eingesetzt werden: als Zusatz zu Waschmitteln, als Katalysatoren bei chemischen Prozessen, als Molekularsieb-Adsorbentien für die Isolierung und Reinigung von Gasen und anderen Wertprodukten, um nur einige zu nennen. Forscher in der Periode zwischen 1950 und 1960 haben die über Jahrmillionen dauernde ­natürliche Synthese von Zeolithen im Labor nachgeahmt, die Grundprinzipien ihrer Bildungsprozesse erkannt und sie bis hin zum technischen Maßstab entwickelt. Aufgrund der Zusammensetzung und der Variationsmöglichkeiten in der Bauweise (Struktur genannt) von Zeolithen lässt sich eine Vielzahl von Materialien mit definierten und kontrollierbaren Eigenschaften herstellen, sei es in Form von Pulvern, Formkörpern, Suspensionen u.Ä. Durch die Variationsmöglichkeiten von Struktur und ihren Bausteinen lassen sich die unterschiedlichsten Eigenschaften speziell im Hinblick auf die Wechselwirkung mit Gastmolekülen modellieren. Die Anzahl der gegenwärtig synthetisch hergestellten Molekularsiebtypen übertrifft jene der in der Natur gefundenen bei Weitem.

Von den Anfängen zum großen Maßstab

Die nachhaltige Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet hat erst nach dem 2.Weltkrieg begonnen. In der Bundesrepublik war die chemische Industrie auf diesem Gebiet forschend tätig, in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) erfolgte dies primär an der Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW), einigen Universitäten – z.B. in Leipzig und Halle – sowie auch vorwiegend in den Leuna-Werken. Die Philosophie der Arbeiten speziell an der AdW bestand in der Erarbeitung von komplexem Grundlagenwissen für die ­Lösung von volkswirtschaftlich relevanten Stofftrennproblemen, was über Forschungsverträge mit der Industrie zu einer engen Verflechtung mit industriellen Zielstellungen führte. Beispielsweise wurde am Zentral­institut für physikalische Chemie der AdW, Berlin über viele Jahre das Hochtemperatur-Parex-Verfahren zur adsorptiven Trennung von n- und iso-Paraffin-Gemischen der Kettenlängen C10 bis C18 an 5A-Zeolithen in der Dampfphase bei Temperaturen zwischen 300 und 400°C hinsichtlich Optimierung, Pflege, Weiterentwicklung, Schadens- und Schadstoffeinflussanalyse sowie Adsorbens- und Prozessmodellierung begleitet.

Die Prozessmodelle wurden durch neueste Erkenntnisse zu Mechanismen und Daten für Gleich- sowie Nichtgleichgewichte der Adsorption an prozessgerecht modellierten Adsorbentien bzw. mathematischen Simulationsverfahren auf den jeweils modernen Stand gebracht. Insgesamt wurden umfangreiche Basisvoraussetzungen für den Export von zwölf Parex-Großanlagen in die UdSSR mit Ausgangsproduktkapazitäten von jeweils 500 000 Jahrestonnen geschaffen. Die bei den ­Parex-Arbeiten erlangten Erfahrungen zur Fertigungstechnologie transportoptimierter Zeolithe wurden später bei der Konzipierung neuer Anlagen für die Zeolithproduktion genutzt, z.B. Tricat, Bitterfeld und ­Chemiewerk Bad Köstritz.

Konzertierte Forschungsaktivitäten

Ein Geheimnis des Erfolges bestand in der Intensität der nationalen und internatio­nalen Forschungskooperation. Herausragende Beispiele dieser Zusammenarbeit sind die gemeinsamen Arbeiten zwischen der AdW und der Universität Leipzig, die höchste internationale Anerkennung fanden (z.B. D.W. Breck Award der Internationalen Zeolith-Assoziation, 1986) bzw. die intensive, vertraglich geregelte Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Adsorption zwischen den Wissenschaftsakademien der DDR, UdSSR, der CSSR und Polens sowie mit einigen Universitäten. Wissenschaftler von internationalem Rang wie z.B. M.M. Dubinin, A.V. Kiselev, V.V. Serpinski, A. Bakajev, Ju.I. Tarasevich, S.P. Zhdanov, G.V. Tsitsishvili, M. Kocirik und M. Jaroniec waren nicht nur häufige Gäste in den DDR-Instituten, sie bildeten in ihren Laboratorien auch eine Vielzahl junger DDR-Forscher in langfristigen Arbeitsaufenthalten oder Aspiranturen aus.


Darstellung des Porenfensters in ZIF-8, Zn(mim)2 (mim = 2-Methyl-imidazolat). Es handelt sich um einen Imidazolat-MOF mit Zeolith-analoger Topologie
Bild: Dr. Michael Fischer/Prof. Dr. Michael Fröba

Anfang der 80er-Jahre bildeten sich in der Bundesrepublik einzelne Forschergruppen an Universitäten, die über gemeinsame Workshops schließlich 1987 die Deutsche Zeolith-Tagung etablierten. Ähnliche Workshops wurden auch von der AdW der DDR organisiert. All diese Meetings waren Nachwuchstagungen, auf denen Doktoranden und Diplomanden von Universitäten bzw. der AdW ihre neuesten Ergebnisse vortrugen. Die Forschungsaktivitäten auf diesem ­Gebiet wurden in der Bundesrepublik von dem Zeolithausschuss der DECHEMA, Frankfurt/M. koordiniert. Die Mitarbeit von Forschern der ehemaligen DDR am Zeolith-Ausschuss der DECHEMA wurde ab 1990 möglich. 1993 erfolgte dann – ebenfalls ­unter dem Dach der DECHMA – die Gründung der Deutschen Zeolithgesellschaft, ähnlich wie in anderen Ländern in Westeuropa. Diese nationalen Verbände schlossen sich 1995 zur Föderation der europäischen Zeolithgesellschaften (FEZA) zusammen.

Im größeren internationalen Rahmen werden seit dem Jahre 1967 im Dreijahresrhythmus internationale Zeolith-Konferenzen abgehalten. Diese stehen unter der Schirmherrschaft der Internationalen Zeolith-­Assoziation (IZA) und finden alternierend in den USA und einem Land außerhalb der USA statt. Deutsche Wissenschaftler aus Ost und West haben als Mitglieder des ­Präsidiums der IZA und Lektoren auf zeitgleich durchgeführten Sommerschulen die international betriebene Forschung wesentlich und nachhaltig gefördert. Soweit das organisatorische Skelett.

Die Wiedervereinigung – Booster für die deutsche Zeolithforschung

Für die rasche Entwicklung auf dem Gebiet der Synthese, Eigenschaften und Anwendungen zeolithischer Molekularsiebe und mit Blick auf den Anschluss an die internationale Forschung waren drei Tatbestände maßgeblich verantwortlich:

a) Die Etablierung von Programmen über den Wissenschaftleraustausch durch die Europäische Union (EU). Zu nennen ist hier das äußerst erfolgreiche Programm Training, Mobility and Research und nachfolgende Forschungsförderungsprogramme sowie

b) die Möglichkeit, über die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Humboldt-Stiftung kompetente und erfahrene Experten aus den USA und den europäischen Mitgliederstaaten der EU als Gastwissenschaftler zu Forschungszwecken in die Bundesrepublik einzuladen. Durch die aktive Mitarbeit von herausragenden Persönlichkeiten war es möglich, dass die Forschung in der Bundesrepublik wieder Anschluss an die internationale Zeolith­forschung gewann. In der DDR fanden analoge Entwicklungen statt. Ihre Wissenschaftler kooperierten zwar überwiegend mit solchen aus sozialistischen Ländern, es gelang ihnen aber auch, so genannte Joint Research Projects mit westeuropäischen Einrichtungen zu etablieren.

c) Die Wiedervereinigung 1989 gab schließlich der deutschen Zeolithforschung einen entscheidenden und nachhaltigen Auftrieb. Es soll dabei nicht verschwiegen werden, dass dieses Ereignis in der ehemaligen DDR die Auflösung der AdW nach sich zog. Dies führte zu einem beträchtlichen Verlust von Kapazitäten der Zeolithforschung und erfahrenen Wissensträgern, von denen viele ihre berufliche Laufbahn abbrechen mussten. Einige konnten sie nur im Ausland fortsetzen. Das Ziel nach einem gemeinsamen Vorgehen bestimmte jedoch die allgemeine Einwicklung.

Wir sind der Meinung, dass dieser Prozess des gegenseitigen Austauschs – auch wenn er einige Jahre gedauert hat – erfolgreich abgeschlossen ist. Er ist vor allem der älteren Forschergeneration auf diesem Gebiet gelungen, junge Nachwuchswissenschaftler zu motivieren und beispielsweise aus den USA zurückzuholen, sodass Deutschland heute über eine Vielzahl von exzellenten Forschergruppen an seinen Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen verfügt, die eng untereinander und auch international vernetzt sind.

Die Zeolithforschung in Deutschland ist jedoch kein etablierter und konservativer Verein, sondern strebt – bedingt durch ­unsere steigenden Ansprüche an moderne Technologie und sozioökonomische Zielsetzungen – in neue Gebiete mit viel versprechenden Materialien vor.

So wurde 1995 das Tor zu geordneten ­mesoporösen Materialien aufgestoßen, die auf einem neuen flexiblen Synthesekonzept beruhen. Nur wenig später erfolgte die ­Periode der metallorganischen Netzwerke (Metal Organic Frameworks), einem viel versprechenden und aussichtsreichen Feld der Materialwissenschaften, auf dem auch deutsche Forscher erfolgreich tätig waren und immer noch sind. Auf dieser Grund­lage werden einzigartige poröse Materialien mit großem Anwendungspotenzial ihrer spezifischen Strukturen entwickelt. Seitens der Adsorptionsphänomene sollten zunehmend neue Möglichkeiten für die Trennung fluider Gemische auf der Basis unterschiedlichen kinetischen Verhaltens der Gemischkomponenten in den Vordergrund des Interesses treten. Bedingt durch die Eigenschaften der genannten Materialien hat sich ihr Anwendungsspektrum drastisch erweitert und Eingang in die ­Optoelektronik, Elektronik, Steuerung der Freigabe von Arzneistoffen, Diagnostik und Therapeutik, Kontrolle von Umwelteinflüssen durch Chemikalien etc. gefunden.


Preisverleihung von Jörg Kärger, Universität Leipzig, an George Kokotailo anlässlich der Deutschen Zeolithtagung in Halle 1994


(von links nach rechts) Colin Fyfe, George Koko­tailo und Wilhelm Schwieger, Universität Erlangen, an der University of British Columbia (UBC), ­Vancouver, Canada, 2004

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die deutsche Zeolithforschung einen beispielhaften Reifegrad erreicht hat. Stürmisch entwickelt hat sich vor allem ihre Basis, die Materialforschung. Hinter dieser bleiben allerdings trotz der bezeichneten neuen Anwendungsgebiete und damit verbundener Erfolge die umfassende Charakterisierung und gezielte Modifizierung mit der Suche nach weiteren neuen Anwendungen zurück. Hier sollte ein reiches, von der chemischen Industrie zu förderndes Betätigungsfeld vor allem für die jüngere Forschergeneration liegen.

Literatur

[1] A.Tissler, U. Müller and K.K.Unger, Synthetic Zeolites and Aluminophosphates, Nachr. Chem., Tech. Lab., 36 (6) , 624–630 (1988).
[2] U. Müller, A. Tissler and K.K.Unger, GIT Fachz. Lab., 32 (6), 635–641 (1988).

Für Kontakte: www.processnet.org/dzt25

Foto: © panthermedia | Svetlana Gryankina

Stichwörter:
Materialforschung, Materialentwicklung, Energieversorgung, Kommunikation, medizinische Versorgung, Gesundheitswesen, Umwelttechnologie, Ressourcen, Leuna-Werken, Grundlagenwissen, Stofftrennproblemen, Hochtemperatur-Parex-Verfahren, adsorptive Trennung, n-, iso-, Paraffin-Gemischen, Zeolithproduktion, Tricat, Bitterfeld, Chemiewerk Bad Köstritz, Parex-Großanlagen, Ausgangsproduktkapazitäten, Forschungsaktivitäten,

C&M 1 / 2013

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe C&M 1 / 2013.
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