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Rohstoffe der zweiten Generation setzen Trends für die biobasierte Industrie

Vom Matchbox-Format zur Formel 1

Schöne, neue biobasierte Welt: Morgens schließen wir die Haustür des Holzblockhauseshinter uns ab, das mit Hanfmatten gedämmt wurde. Das Auto, in das wir steigen, besteht zum Großteil aus Biokunststoff und wir sitzen auf Polyurethan-Polstern auf Sojaölbasis. Das Gefährt rollt auf Reifen aus Löwenzahn-Kautschuk, in den Tank kommt ­Bioethanol. An den Füßen tragen wir Turnschuhe, für die Rizinusöl zu Polyamid verarbeitet wurde und unsere Einkäufe tragen wir in kompostierbaren Plastiktüten nach Hause.

Wie viel davon ist Fiktion und wie viel Realität?

Nun, es ist schon eine ganze Menge Realität dabei. Vom Trend zum nachwachsenden Baumaterial kann sich jeder überzeugen, der durch ein durchschnittliches Neubaugebiet in einem bundesdeutschen Dorf spaziert. Gut 15?% aller Wohngebäude werden aus Holz gebaut und weil davon nur wenige größere Wohnanlagen in Städten sind, werden sie in Einfamilienhaus-Siedlungen umso sichtbarer. Mal abgesehen­ ­davon, dass ein Holzhaus kaum zusätzliche Dämmung braucht, ist Hanf ein echtes Stief­kind unter den Dämmstoffen: 28,4 Mio. m³ der Warmhalter werden jährlich in Deutschland verbaut, aber nur 0,35 % davon bestehen­ aus Hanf.

Beim Auto sieht es schon deutlich anders aus. Kaum ein Hersteller, der sich nicht ­damit brüstet, immer mehr Kunststoffteile durch eine biobasierte Variante zu ersetzen: Ford forscht noch daran, die Tomatenabfälle aus der Heinz-Ketchup-Produktion zu Münzhaltern zu verpressen, während Daimler Benz eine Motorabdeckung aus Polyamid auf Rizinusbasis auf dem Markt hat. Continentals Reifen aus Löwenzahnkautschuk ist ebenfalls auf einem guten Weg und rollte im letzten Herbst über die Teststrecke, um die Wintertauglichkeit zu untersuchen. Mengenmäßig sind das aber nur die Matchboxautos der Bioökonomie – die Formel 1 findet woanders statt.

Alkohol dominiert

Summiert man die Produkte der Bioökonomie auf, die fermentativ hergestellt werden, also mithilfe von Bakterien, Hefen oder Schimmelpilzen, dann ergibt sich eine Menge von rund 110 Mio. Tonnen weltweit. Enzyme,­ Antibiotika, Vitamine, Polymere und Biogas teilen sich 1 Mio. Tonnen, organische Säuren­ machen knapp 3 Mio. Tonnen aus und Aminosäuren gut 7 Mio. Tonnen. Die restlichen 99 Mio. Tonnen entfallen auf Alkohole, hauptsächlich Ethanol. Hier sind die USA (40 Mio. Tonnen) und Brasilien (20 Mio. Tonnen) führend, während Deutschland mit einer guten halben Mio. Tonnen eher ein kleines Licht im Alkoholsektor ist. Noch immer tanken die Deutschen nur zögerlich E10, weil sie sich um das Wohlergehen ihrer Autos fürchten. Dabei ist längst geklärt, dass die Ethanolbeimischung höchstens bei älteren Modellen problematisch sein kann.


Die Bioindustrie in Zahlen: fermentativ ­hergestellte Produkte in Millionen Tonnen

Rohstoffe der zweiten Generation

Geklärt ist auch, dass das Ethanol im Tank nicht die Ursache ist, wenn auf vielen Tellern in der Welt nichts zu essen liegt. Von den 1,5 Mrd. Hektar nutzbarer Ackerfläche weltweit werden für die gesamte Alkoholproduktion nur 1,7 % gebraucht. Ohnehin geht die Entwicklung der biobasierten ­Industrie weg von den essbaren Substraten hin zu den Rohstoffen der zweiten Generation. Zu dem, was übrig bleibt, wenn der Mensch seinen Nutzen aus einem Material gezogen hat: Getreidestroh, Sägemehl, Hausmüll, Restholz. Mit ihnen werden die Bioraffinerien der neueren Generationen betrieben. Außerdem werden immer mehr Pflanzen angebaut, die auch auf schlechten Böden wachsen und keine Konkurrenz für die Nahrungsmittelproduktion darstellen. Evonik nutzt Rizinus und dessen Öl für seine Bio-Polyamid-Produktion, der italienische Kunststoffhersteller Matrìca baut Disteln an, um Weichmacher und Fettsäuren daraus zu gewinnen. In Brasilien hat GranBio ein spezielles „energycane“ entwickelt, um unabhängig vom Zuckerrohr Ethanol produzieren zu können.

Biokunststoffe im Kommen

Die Nachfrage nach Alkoholen wird weiter wachsen, Schätzungen gehen von 4,4% bis 2020 aus. Weit größeres Wachstumspotenzial wird aber den Biopolymeren zugeschrieben, denn mit ihnen lässt sich deutlich mehr Gewinn machen als mit Ethanol oder Biogas. Treiber des Biokunststoffmarktes sind hauptsächlich Verpackungen. Die kompostierbare Plastiktüte ist in Deutschland bisher nur selten anzutreffen, doch Italien ist mit gutem Beispiel vorangegangen. Dünne Einweg-Plastiktüten, so ­genannte „Hemdchen-Tüten“, wie man sie aus der Obst- und Gemüseabteilung kennt, wurden 2011 aus dem Verkehr gezogen. An ihrer Stelle werden kompostierbare ­Tüten mit der aufgedruckten Bitte angeboten, sie als Biomüllbeutel zu verwenden. Daraufhin sank der Verbrauch der Tüten um 50 %, gleichzeitig fühlten sich viele Italiener animiert, erstmalig Bioabfälle in der Küche zu sammeln. Weil nur noch kompostierbare Tüten im Umlauf sind, gibt es deutlich weniger Verunreinigungen aus nicht abbaubaren Kunststoffen im fertigen Kompost. Ein Erfolg auf ganzer Linie und ein Vorbild für den Rest von Europa und seine Tütendiskussion.

BiobasedWorld auf der ACHEMA 2015

Aktuelle Trends und Entwicklungen in der Bioökonomie gibt es als Fokusthema BiobasedWorld auf der ACHEMA 2015 vom 15. bis 19. Juni in Frankfurt zu sehen. Neben den Exponaten der Ausstellung bietet das Kongressprogramm täglich Vorträge zu ­Bioraffinerien, neuen Bioprozessen und -produkten. Donnerstag, der 18. Juni steht ganz im Zeichen der europäischen Bio­ökonomie und der Forschungsstrategie HORIZON 2020.

Bild: © panthermedia | szaszlaci

C&M 1 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe C&M 1 / 2015.
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