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Ressourceneffizienz in der Logistik bei der Nutzung nachwachsender Rohstoffe

Ressourceneffizienz in der Logistik bei der Nutzung nachwachsender Rohstoffe

Vorausschauend planen

Die Nutzung nachwachsender Rohstoffe in der Prozessindus­trie stellt ­besondere Anforderungen an die Logistikplanung, da Erntemengen und -qualitäten Schwankungen unterliegen. Rohstoffe aus der Landwirtschaft sind zudem oft nur saisonal verfügbar, sodass eine Korrektur der Bestellmengen schwierig ist. Neue Planungskonzepte erlauben die effiziente Nutzung aller Eingangsstoffe und die Berücksichtigung unsicherer Größen in der Entscheidungsfindung.

Aufgrund der Knappheit fossiler Ressourcen ist in Zukunft mit einer zunehmenden Nachfrage an nachwachsenden Rohstoffen seitens der ­Prozessindustrie zu rechnen. Da die Anbau­­flächen begrenzt sind, ist es wichtig, sie effizient zu nutzen – nicht zuletzt aus Kostengründen. Hohe Roh­stoff­effizienz kann durch die Nutzung von ­Neben­produkten und Kaskadennutzung erreicht werden. Die Kaskadennutzung beinhaltet eine Maximierung der stofflichen einschließlich einer chemischen (Mehrfach-)Nutzung desselben Rohstoffs, bevor sich spätestens am ­Lebenszyklusende eine energetische Nutzung anschließt (vgl. Abb.). Herausforderungen bei der Gestaltung der Wertschöpfungsketten sind die Schwankungen in Quantität und Qualität der ­geernteten Pflanzen sowie die bei Mehrfachnutzungen auftretenden stofflichen Ver­änderungen und Variabilitäten, die in der Planung berücksichtigt werden müssen.


Schematische Darstellung einer optimierten Kaskadennutzung. Die Pfeile entsprechen den Stoffströmen.

Im DFG-Graduiertenkolleg „Ressourcen­effizienz in Unternehmensnetzwerken“ werden an der Universität Göttingen in einem guten Dutzend Doktorarbeiten quantitative Planungsansätze zur Gestaltung und Optimierung von Wertschöpfungsnetzwerken für erneuerbare Rohstoffe interdisziplinär erforscht und weiterentwickelt. Der Betrachtungsrahmen umfasst ­dabei drei Wertschöpfungsstufen und zwei steuernde Querschnittsfunktionen: Die Hersteller von Produkten, die nachwachsende Rohstoffe enthalten, müssen auf der ersten Wertschöpfungsstufe entscheiden, welche Primärproduktkombinationen für bestimmte Produkte zu welchem Preis angeboten bzw. eingesetzt werden können, sodass ein Erzeugnis mit definierter Qualität und Verfügbarkeit angeboten werden kann. Für die Abnehmer und Weiterveredler auf der zweiten Wertschöpfungsstufe steht die Planung einer effizienten Produktion im Vordergrund. Die Akzeptanz und Absatzmöglichkeiten der Produkte und hybriden Dienstleistungen beim Großhandel und bei den Endverbrauchern stellen die dritte Stufe dar. Aus der Netzwerkperspektive wird geklärt, wie für alle Beteiligten eine effiziente Lösung der auftretenden Planungs- und Verteilungsprobleme im Sinne eines anzustrebenden netzwerkweiten Optimums gefunden werden kann. Aus der Perspektive des Informationsmanagements wird erforscht, wie den einzelnen Mitgliedern sowie dem gesamten Netzwerk durch Methoden der Wirtschaftsinformatik entscheidungsrelevante Informationen bereitgestellt werden können. Zur Erprobung der interdisziplinär entwickelten Methoden zur Planung und Steuerung sind Fallstudien in Unternehmen vorgesehen, zum Beispiel in den Bereichen Forschung, Entwicklung, Logistik, Produktionsplanung, Wirtschaftsinformatik oder Marketing.

Fallbeispiel Beschaffungsplanung

Ein logistisches Teilproblem, für das bereits ein Lösungsansatz entwickelt wurde, ist die Beschaffungsplanung für Aufbereiter von Agrarrohstoffen. Unternehmen der Prozessindustrie nutzen Agrarrohstoffe schon lange, etwa zur Produktion von Waschmitteln, Pharmazeutika und Kosmetik. Für die Produktion von biobasierten Kunststoffen wie etwa Polyurethan stellt Leinöl einen interessanten Rohstoff dar. Aktuell wird es wegen seiner hervorragenden Polymerisierbarkeit vor allem zur Herstellung von Linoleum oder Lacken genutzt. Wenn Produkte aus Ölsaaten in industriellen Produktionsprozessen eingesetzt werden, erfolgt die Aufbereitung oft durch eine Ölmühle, die die Pressung und gegebenenfalls die Weiterveredelung durchführt. Um den Bedarf eines Industriekunden an qualitativ hochwertigem Leinöl zu decken, kann die Ölmühle als Zulieferer sich dazu entscheiden, Sorten mit hochwertigen Qualitätsmerkmalen über Vertragsanbau kultivieren zu lassen. Durch die passende Sortenwahl kann das Risiko unzureichender Qualität vermindert werden. Für den Aufbereiter der Agrarrohstoffe stellt sich unter diesen Umständen die Frage, welche Fläche für den Vertragsanabau gewählt werden soll.

Für die Wahl der optimalen Anbaufläche wurde an der Professur für Produktion und Logistik eine Entscheidungsunterstützung entwickelt, die auf stochastischer Programmierung basiert. Die zu Grunde liegende Methode ermöglicht die Berücksichtigung von Unsicherheiten in Form von Wahrscheinlichkeitsverteilungen für die unsicheren Parameter. Das Modell kann leicht an spezifische Gegebenheiten einer Entscheidungssituation angepasst werden wie etwa Anzahl der Lieferanten und Abnehmer, Einbezug von Preisgleitklauseln sowie variable oder fixe Strafkosten bei Unter­deckung der Nachfrage. Die Nutzung von Nebenprodukten kann ebenso in dem ­Modell berücksichtigt werden wie der Verkauf von Produkten minderer Qualität an einem Rohstoffmarkt, dessen Preise ebenfalls Schwankungen unterliegen.

Der Wert dieses Ansatzes für die Praxis wurde bereits im Rahmen einer Fallstudie mit einem Saatguthersteller überprüft. Auch hier muss frühzeitig die Entscheidung über die Vertragsanbaufläche für einzelne Sorten und Lieferanten getroffen werden. Vergangenheitsdaten können zur Konstruktion von Wahrscheinlichkeitsverteilungen genutzt und mit Expertenwissen an die aktuelle Entscheidungssituation angepasst werden. Die entwickelte Vorgehensweise ermöglicht eine exakte Berücksichtigung der aus der Vergangenheit bekannten Planungsrisiken im Sinne des Entscheiders. Auf Basis der Wahrscheinlichkeitsverteilungen wird eine Vielzahl an Szenarien ­erzeugt, die simultan in die Optimierung eingehen. Dies ermöglicht eine Maximierung des erwarteten Gewinns unter Berücksichtigung der Eintrittswahrscheinlichkeiten der Szenarien. Aktuell wird an der Implementierung der Entscheidungsunterstützung gearbeitet.

Danksagung

Die Autoren bedanken sich für die finanzielle ­Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für das Graduiertenkolleg „GRK 1703: Ressourceneffizienz in Unternehmensnetzwerken – Methoden zur betrieblichen und überbetrieblichen Planung für die Nutzung erneuerbarer Rohstoffe“ sowie durch das Projekt „Optimization and its Applications in Learning and Industry (OptALI )“, finanziert durch das European Union Seventh Framework Programme (FP7-PEOPLE-2009-IRSES).

Literatur

Geldermann, J. (2012) Einsatz nachwachsender Rohstoffe in der Produktion und Konsequenzen für die Planung. In: Corsten, H.; Roth, S. (Hrsg.): Nachhaltigkeit – Unternehmerisches Handeln in globaler Verantwortung. Springer-Gabler-Verlag, Wiesbaden, S. 191–214
Wiedenmann, S. (2013) Supply Planning for Processors of
Agricultural Raw Materials. Dissertation. Cuvillier Verlag, Göttingen

Bild: © kyslynskyy - Fotolia.com

C&M 3 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe C&M 3 / 2014.
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