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Revolutionärer Werkstoff

Anwendungen graphenbasierter Technologien

Ob in der Luft- und Raumfahrtindustrie, als lichtaktives Material in Solarzellen oder als Korrosionsschutz, ­Graphen ist aus der Forschung nicht wegzudenken. Der Lehrstuhl für graphenbasierte Nanotechnologie ­beschäftigt sich in Forschung und Lehre mit elektronischen, optoelektronischen und nanoelektromechanischen Bauelementen aus Graphen und verwandten zweidimensionalen (2D) Materialien.

Historie und Eigenschaften

Die Existenz von Graphen – einer 2D-Ebene sechseckig angeordneten Kohlenstoffs – wurde 2004 erstmalig nachgewiesen [1]. Knapp 40 Jahre zuvor wurde allerdings pos­tuliert, dass Materialien mit vernachlässigbarer Dicke aufgrund thermodynamischer Kräfte bei Temperaturen oberhalb von 0?K als Folge zu schwacher Atombindungen nicht existieren können. 2D-Werkstoffe konnten demnach auch keine anti-/ferromagnetischen Eigenschaften aufweisen. Umso erstaunlicher war die Entdeckung des elektrischen Feldeffekts in atomlagen-dünnem Kohlenstoff. Der Widerspruch zu anerkannten Modellen wurde entkräftet, da Graphen kein absolut flacher 2D-Kristall, vielmehr eine höchst flexible 0,335nm ­„hohe“ Hügellandschaft (vgl. Abb.1) ist [2]. Die Steuerung der Ladungsträgerdichte in Graphen durch Anlegen einer Spannung ist schon jetzt einer der fundamentalen physikalischen Erkenntnisse dieses Jahrhunderts, der den Fortgang der Bauelement-Miniaturisierung mithilfe geeigneter Prozesstechnologien ermöglichen kann. Wo derzeitig 22nm Siliziumkanäle den Stand der Transis­tortechnik bilden, könnte zukünftig Graphen mit einer Weite < 10nm zum Einsatz kommen. Die außergewöhnlichen elektrischen, thermischen, optischen und mechanischen Eigenschaften von Graphen können in Bereichen der Nano-/Optoelektronik, der Beschichtungs-, Medizin- und Werkstofftechnik vorteilhaft genutzt werden. Aufgrund der hexagonalen Kristallstruktur entstehen sehr steile, nahezu lineare Bandverläufe (vgl. Abb.2), sodass sich Ladung ungehindert, quasi masselos, fortbewegen und Licht linear absorbiert werden kann. Mit 200.000cm2Vs-1 bewegen sich Elektronen in freischwebendem Graphen schneller als in jedem anderen Material. Stromdichten >108Acm–2 werden in Graphen, nicht jedoch in normalem Kupfer erreicht. Graphen weist trotz seiner geringen Dicke eine mit 2,3% außergewöhnlich hohe optische Absorption vom mittelinfraroten bis ins UV-Spektrum auf [3]. Mit einem E Modul von 1,1TPa wurde eine bislang nie dagewesene Zugbelastbarkeit nachgewiesen [4], die die von Titan (100GPa) oder Stahl (200GPa) bei Weitem übersteigt. Die ­hohe mechanische Stabilität resultiert aus der sp2-Hybridisierung des Kohlenstoffs. Während Atome in der x-/y-Ebene durch starke pi-Bindungen zusammengehalten werden, bewirken vertikale p-Bindungen den nahezu ungebremsten Ladungstransport. Graphen lässt sich aufgrund der schwachen p-Bindungen leicht von anderen Materialien ablösen. Eine hohe thermische Leitfähigkeit (5.300WmK-1 bei 25°C) macht Graphen für eine Vielzahl industrieller ­Applikationen interessant. Im Vergleich: Diamant, das bislang thermisch leitfähigste Material, erreicht lediglich 2200WmK-1.


Abb.1 Höchstflexibler, transparenter und leitfähiger 2D-Graphenkristall


Abb.2 Energie-/Impulsdiagramm von 2D-Graphen

Einsatzgebiete

In der Luft- und Raumfahrtindustrie ist die Integration von Graphen in Komposi­tionswerkstoffe aus kohlefaserverstärktem Kunststoff momentan ein zentraler Forschungsgegenstand. Adressiert werden Ziele wie Gewichtsreduktion (Treibstoffverbrauch), Tragflächensteifigkeit (Verwirbelungen) und elektrische Leitfähigkeit (Enteisung/Blitzableiter). Die Kompatibilität von Graphen zu aktuellen Halbleitertechno­logien eröffnet die Möglichkeit der Integration in Siliziumbauelemente. Es wurde ­bereits die Integration erster Graphen-Feldeffekt-Transistoren (GFETs) als Hochfrequenzempfänger (4,3GHz) in einem Siliziumschaltkreis als Frequenzverdoppler und als Mixer demonstriert. Graphen nutzt trotz seiner geringen Dicke eine sehr hohen Anteil optisch einfallender Strahlung (Absorption 2,3%, Reflektion 0,1%) und eignet sich demnach als lichtaktives Material in Solarzellen/Photosensoren. Dioden aus Graphen-Metallübergängen [5,6] auf SiO2 (vgl. Abb.3) und Graphen-Halbleiterübergängen liefern Empfindlichkeiten im Bereich einiger mAW–1. Siliziumdioden (Dicke einige 100µm) erreichen üblicherweise etwa 0,6A/W, sind nicht biegsam und deren Bandbreite ist auf 1100nm begrenzt. Trotz fehlender Band­lücke wurde in Graphen jüngst Lumineszenz gemessen, die auch durch chemische/physikalische Materialbehandlungen erzeugt werden kann. Mithin schützt Graphen metallische Oberflächen in hohem Maße vor Korrosion [7].


Abb.3 Photosensor bestehend aus Graphen

Transparente Elektroden

Solarzellen, LEDs, Displays oder Touch Screens benötigen Elektroden, die erstens eine hohe Transparenz T und zweitens ­einen kleinen Schichtwiderstand Rs aufweisen. Solche Elektroden werden i.d.R. aus halbleiterbasierten, transparent leitfähigen Oxiden (TCOs) wie dotiertem Indiumoxid, Zinkoxid oder Zinnoxid hergestellt. Das gängigste TCO ist Indiumzinnoxid (ITO) mit T=80% (bei 550 nm) und Rs=10 omega/ auf Glas. ITO ist in nahezu jedem Handy als transparentes Displaymaterial zu finden, ­jedoch ist es durch seinen hohen Indiumgehalt teuer. ITO ist spröde und für flexible Anwendungen ungeeignet. Alternativen zur Herstellung flexibler, kostengünstiger Elektroden sind Kohlenstoffnanoröhren (CNT) und Graphen. Graphen besitzt eine breitbandigere Transparenz als einwandige CNTs, metallische Filme und ITO. Für flexible, transparente Elektroden eignet sich das leitfähige Polymer PEDOT:PSS (4-Lagen: Rs=46 omega/, T=82%) wobei die geringe Temperaturstabilität (Siedepunkt=100°C) einen großen Nachteil bietet. Der Schmelzpunkt von Graphen wurde zum Vergleich zu 4627°C extrapoliert26. Mehrlagen-Graphen erzielt Beweglichkeiten bis 20.000cm2Vs-1 und Rs-Werte von ITO bei identischer und höherer Transparenz. Jüngst wurde mittels Dotierung 4-Lagen Graphen hergestellt das mit Rs=40 omega/ und T>90% [8] den „minimum industrial standard” von ITO unterbieten konnte.

Digitale Schaltkreise und Hochfrequenztechnik

Im Jahr 2014 bestand nahezu jedes Schaltelement in integrierten Digitalschaltkreisen aus Silizium-FETs. Um Milliarden von Transistoren auf einem Chip leistungsarm zu betreiben, muss das Ein-/Ausschaltstromverhältnis (Ion/Ioff) bei 104–107 liegen, was i.d.R. nur mit Halbleitern, deren Band­lücken 400meV betragen, möglich ist. Da normales Graphen diese Bandlücke nicht aufweist, besitzen GFETs keinen hin­reichenden Ausschaltzustand. In Graphen-Nanobändern (GNRs) wurden bereits Bandlücken >100meV geöffnet und Ion/Ioff-Verhältnisse >106 demonstriert [9]. Bilagen-GFETs weisen Bandlücke bis 250meV in Anwesenheit eines vertikalen elektrischen Feldes auf, welches durch externe Spannungen oder chemisch/elektrostatisch ­Dotieren erzeugt werden kann. Normale GFETs zeigen Ion/Ioff-Werte von max. 10, komplexe Konfigurationen max. 100, was deren Einsatz in Logikschaltungen ausschließt. Dennoch gibt es Ansätze, Graphen-Transistorlogik erstens durch die Öffnung einer Bandlücke in GNRs, zweitens durch die Verwendung von Bilagen-Graphen in Transistoren mit vertikalem Feldverlauf oder drittens die Einführung von GFETs mit fundamental andersartigem ­Arbeitsprinzip zu etablieren. Logiktransistoren benötigen eine Bandlücke. Hoch­-frequenz(HF)-FETs werden gemeinhin im aktiven Einschaltzustand betrieben, weshalb Graphen in der HF-Technik auf eine große Resonanz stößt. Die Aufgabe des FETs besteht darin, HF-Signale zu verstärken und weiterzuleiten. Die Signalamplitude kann mittels der Strom (h21)- oder der Leistungsverstärkung vP erhöht werden. Beide Größen sinken mit zunehmender Frequenz. Relevante HF-Größen sind die Transitfrequenz (fT), bei der h21 auf „1“ absinkt und die obere Grenzfrequenz (fmax), bei der vP auf „1“ abfällt. Für die meisten HF-Applikationen sind vP und fmax relevant. Der erste GFET mit fT-Werten im GHz-Bereich wurde 2008 vorgestellt [10]. Seitdem ist deren Performance kontinuierlich angestiegen und mit dem Stand der Technik entsprechenden Transistoren vergleichbar. Zurzeit liegt die max. GFET-fT bei 427GHz, fmax bei 105GHz. High-Electron-Mobility-Transistoren (HEMTs) erreichen hier 1000GHz. Die geringen fmax-Werte entstehen erstens durch die geringe Stromsättigung im Ausgangskennlinienfeld aufgrund der fehlenden Bandlücke, zweitens durch hohe Kanalwiderstände sowie drittens als Folge eines hohen Gate­widerstandes. Schon mit 100meV Bandlücken, welche in Bilagen-GFETs erzeugt werden können, findet eine gute Sättigung statt, weshalb diesem Transistortyp ein großes Potenzial zugeschrieben wird, die Performance üblicher Silizium-FETs zu übersteigen.

Literatur
[1] Novoselov, K. S. et al. (2004) Science 306, 666–669
[2] Kelly, B. T. Physics of graphite. (1981)
[3] Ferrari, A. C. et al. (2014) Nanoscale
[4] Lee, C. et al. (2008) Science 321, 385–388
[5] Lemme, M. C. et al. (2011) Nano Lett. 11, 4134–4137
[6] Xia, F. et al. (2009) Nat. Nanotechnol. 4, 839–843
[7] Prasai, D. et al. (2012) ACS Nano 6, 1102–1108
[8] Bonaccorso, F. et al. (2010) Nat. Photonics 4, 611–622
[9] Li, X. et al. (2008) Science 319, 1229–1232
[10] Meric, I. et al. (2008) in IEDM 2008. IEEE International 1–4

Foto: © www.nasa.gov

C&M 4 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe C&M 4 / 2015.
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