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Forscher > Prof. Dr. Roland Ulber > Prozessanalytik in der Biotechnologie

Prozessanalytik in der Biotechnologie

Herausfor­derungen im Bioprozess

Die ersten biotechnischen Prozesse wurden schon vor mehreren tausend Jahren durchgeführt und dienten zur Herstellung von Bier, Wein und Brot. Waren sie zunächst auf Lebensmittelprozesse beschränkt, so wird mit
biotechnischen Prozessen zurzeit von der Abwasserreinigung bis hin zur Produktion von Medikamenten ein breites Spektrum von Produkten für unterschiedliche Anwendungen hergestellt. Aufgrund der komplexen Zusammen­setzung der Prozessmedien, die typischerweise Mehr- phasensysteme darstellen, sowie des Strebens nach hoher Produktivität werden hohe Ansprüche an die Mess- und Automatisierungstechnik gestellt.

Der Betrieb eines Bioreaktors zur Herstellung eines Produkts läuft zumeist in drei Phasen ab: Upstreaming (Befüllen, Sterilisieren, Mischen), Kultivieren (Züchtung und Produktion) oder Biotransformation und Downstreaming (Ernten und Aufar­beiten). Um eine hohe Produktqualität zu ­erzielen, ist in jeder Phase ein hoher Automationsgrad erforderlich [1]. Aufgrund der hohen Dynamik von Kultivierungsprozessen stellt diese Phase die höchsten Ansprüche an Mess- und Automatisierungstechnik.

Messen im biotechnischen Prozess

Zur Gewinnung von Information wurden in der Prozessanalytik unterschiedliche Messverfahren entwickelt [2]. So unterscheidet man zunächst zwischen Offlinemessung und Onlinemessung. Die Offlinemessung ist zumeist mit einer manuellen Probenahme und weiterem Prozessieren verbunden; es besteht kein direkter Kontakt zwischen Reaktor und Messsystem. Die Zeitspanne von der Probenahme bis hin zum Vorliegen des Messwerts kann hierbei mehrere Stunden betragen (z. B. bei der direkten Bestimmung der Bio­trockenmasse). Je nach biotechnischem Prozess reicht diese Zeitspanne zumeist nicht aus, um basierend auf diesen Messwerten den Prozessverlauf zu beeinflussen. Ist ein Prozesseingriff erforderlich, müssen ­Onlinemessungen durchgeführt werden. Hierbei werden In-situ- und Ex-­situ-Sensoren unterschieden. Erstgenannte haben direkten Kontakt mit der Reaktionsbrühe im Reaktor. So werden häufig Temperatur, pH und die Gelöstsauerstoffkonzentration in situ gemessen. Von einem Ex-situ-Sensor wird gesprochen, wenn eine Probe aus dem Reaktor entnommen und über Schläuche oder Rohrleitungen dem Sensor zugeführt wird. Dieses Verfahren wird z. B. in Kombination mit einem Probenahme­modul zur Bereitstellung eines zellfreien Probenstroms für Fließinjektionsanalyse-Systeme verwendet.

Sensoren – die Natur als Vorbild

Bei der Entwicklung von Sensoren zur Prozessanalytik wird die Natur als Vorbild ­genommen. Sie hat Sensoren hervor­gebracht, die in der Lage sind, 1000 Moleküle in einem Milliliter zu detektieren. Ein Sensor besteht aus einem Messgrößenaufnehmer, mit dem die Messgröße als Rohmesswert unmittelbar erfasst wird, und einem Messumformer, der den Rohmesswert in eine biologische, chemische oder physikalische Prozessgröße umwandelt und diese als elektrisches Signal zur weiteren Verarbeitung zur Verfügung stellt. Entsprechend dem Messprinzip, nach dem der Messgrößenaufnehmer die Rohmesswerte gewinnt, werden z. B. Chemo-, Bio- und optische Sensoren unterschieden.

Für alle Sensoren sind ihre charakteri­stischen Merkmale wie z. B. ihre Ansprechzeit, ihr dynamischer Bereich, ihre Rever­sibilität, Selektivität und Sensitivität sowie ihre Genauigkeit, die sich in Präzision (Streuung einer Mehrfachmessung) und Richtigkeit (Wiederfindungsrate) mani­festiert, von Bedeutung. Aber auch die Betriebsbedingungen und das Kalibrierverfahren können für oder gegen den Einsatz eines Sensors sprechen.

Sensortechnologien und -verfahren

So genannte Softsensoren (manchmal auch als Softwaresensoren bezeichnet) [3] nutzen zumeist nicht selektive Messsignale und kombinieren sie mit Verfahren der Hauptkomponentenanalyse wie der Prin­cipal-component-Analyse und der Partial-least-square-Analyse. Aber auch neuronale Netzwerke kommen in diesen datengetriebenen Modellen zum Einsatz, wenn ein nichtlinearer Zusammenhang zwischen Spektren und Prozessvariablen besteht. Neben den Softsensoren, die auf daten­getriebenen Modellen basieren, ist eine weitere Gruppe von Softsensoren verfügbar, die Prozesswissen in Form eines dynamischen Modells mit Messwerten kom­binieren, um nicht direkt messbare Prozessvariable zu bestimmen. Sie werden auch als Beobachter bezeichnet und verwenden typischerweise Zustandsdifferenzialgleichungen, mit denen Transport­prozesse und wesentliche Reaktionen des biotechnischen Prozesses beschrieben werden.

Einfache optische Sensoren basieren auf der Turbidimetrie, d.h. auf der Lichtabsorption beziehungsweise auf der Nephelo­metrie, d.h. der Lichtstreuung. Beide Verfahren können verwendet werden, um Feststoffe wie z. B. Mikroorganismen in einer Flüssigkeit zu detektieren. Jedoch besteht meist nur bei kleinen Biomassekonzentrationen ein linearer Zusammenhang. Für diese Messungen sind Sensoren verfügbar, die die Intensität eines transmittierten Lichtstrahls oder die von seitlich gestreutem Licht messen.

Ein Großteil der optischen Sensoren beruht auf spektroskopischen Verfahren. So haben in den letzten Jahren die Fluoreszenz-, UV/VIS-, Raman- und NIR-Spektrometer als Prozessanalysatoren in der Biotechnik sehr stark an Bedeutung gewonnen (z. B. [4]). Dies ist durch ihre zerstörungsfreie Messmethode ohne Zusatz von Reagenzien ­begründet, die geringe Zeitverzögerung, die simultane Erfassung mehrerer Prozessgrößen, den gefahrlosen Einsatz ohne eine Kontamination zu riskieren und die rasante Entwicklung moderner leistungsstarker ­optischer Komponenten. So hat die Foto­diodentechnologie in den letzten Jahren neben neuen Punktsensoren über Zeilensensoren bis hin zu Flächensensoren eine dramatische Entwicklung genommen, die sich in kostengünstigen Prozessanaly­­sa­toren niederschlägt. Vom UV-Bereich bis in den nahen IR-Bereich sind hier Sensoren verfügbar.


Bioreaktor mit unterschiedlichen Prozesssensoren zur Onlineüberwachung von Kultivierungen.

Aber auch die Entwicklung in der Kommunikations- und Informationstechnik hat zur vermehrten Anwendung dieser Technik beigetragen. So sind Systeme verfügbar, die 900 Spektren pro Sekunde vom Spektrometer auf einen Computer übertragen können. Basierend auf den spektroskopischen Verfahren werden die Bioprozessgrößen z. B. aufgrund fehlender Selektivität nicht direkt gemessen, sondern die gewonnenen Messsignale dienen den Softsensoren als Eingangsgrößen, aus denen mit einem chemometrischen Modell wesentliche Prozessvariable berechnet werden. Die Kombination von datengetriebenen Modellen mit Mess­signalen der Fluoreszenzspektroskopie hat dabei die größte Bedeutung gewonnen. Dies liegt insbesondere an der höheren Empfindlichkeit dieser Messmethode, die durch die Messung von reinen Emissionsintensitäten bedingt ist (ohne Hintergrundinten­sität) und bei der nicht wie bei anderen Verfahren das Verhältnis von eingestrahlter Intensität zur Messintensität betrachtet wird. Die Fluoreszenzspektroskopie erlaubt die gleichzeitige Bestimmung von Biomasse, Substrat und Produkt z. B. während einer Hefekultivierung [5]. Mithilfe der NIR-Spektro­skopie kann eine Vielzahl von ­organischen Verbindungen detektiert werden. Bei dieser spektroskopischen Methode findet eine Wechselwirkung elektromagnetischer Wellen mit kovalenten Molekülbindungen (z.B. von O-H-, N-H- und C-H-Bindungen) statt, wobei deren Änderung des Schwing­ungszustands analysiert wird. Diese Methode wurde bereits bei unterschiedlichen Kultivierungen zur Bestimmung von Biomasse, Glucose, Lactat, Acetat, Glutamin und Cellulase eingesetzt.

Ein weiteres optisches Verfahren ist die ­In-situ-Mikroskopie, mit der in einen Bio­reaktor hineingeschaut werden kann, um z. B. Aussagen über die Zellzahl und -größe sowie die Zellmorphologie zu gewinnen. Auch chemische und Biosensoren können optische Komponenten nutzen. So kann auf der Spitze einer Optode ein Indikator immobilisiert werden, dessen optische ­Eigenschaften sich durch die Konzentra­tion eines Analyten ändern. Über Glas­fasern wird Licht zum Indikator hin und wieder zurückgeführt. Somit kann die ­Änderung der optischen Indikatoreigenschaften wie z. B. das Fluoreszenzver­mögen detektiert werden. Basierend auf diesem Verfahren wurden Gelöstsauerstoffsensoren entwickelt, die insbesondere bei niedrigen Konzentrationen sehr sensitiv ­reagieren. Ebenso sind pH- und pCO2-Sensoren nach diesem Prinzip verfügbar. In Kombination mit einer biologischen Komponente, z. B. einem Enzym, kann die ­Optode auch als Biosensor Anwendung finden. Biosensoren sind aber auch in Kombination mit anderen Messgrößen­aufnehmern verfügbar. So haben sich ­konduktometrische, amperometrische und ­potenziometrische Messgrößenaufnehmer etabliert, die neben Thermistoren, Piezokristallen und Feld­effekttransistoren ihren Einzug in die Prozessanalytik gefunden haben. Da die Biosensoren zumeist nicht sterilisierbar sind, werden sie in Kombination mit Fließinjek­tionsanalyse-Systemen ex situ eingesetzt.


Differenzspektrum (Spektrum am Ende der Kultivierung minus Spektrum zu Beginn der Kultivierung) einer Hefekultivierung, in dem die Änderung der Fluoreszenz während einer Hefekultivierung sichtbar wird
(Proteinbereich lex=290nm, lem=330nm, NADH-Bereich lex=350nm, lem=470nm, Flavin-Bereich lex=450nm, lem=530nm).

Derzeit stehen Einwegsensoren hoch im Kurs, die ihren Weg insbesondere durch die steigende Zahl an Einwegbioreaktoren nehmen werden [6].
Obgleich eine Vielzahl an unterschiedlichen Prozessanalysatoren entwickelt wurde, haben nur wenige dieser Systeme den Sprung in die industrielle Anwendung gefunden. Dies liegt unter anderem daran, dass die einfache Übertragbarkeit von einem Prozess auf einen anderen nicht immer gegeben ist. Häufig ist der Aufwand für Bedienung und Wartung zu groß und die geforderte Zuverlässigkeit und Robustheit für das industrielle Umfeld werden nicht gewährleistet. Aber es sind auch weitere Analysatoren gefordert. So fehlen beispielsweise Prozessanalysatoren für Leitgrößen des Metaboloms, Proteoms oder Transkriptoms. Nicht nur hier ist die Forschung und Entwicklung zum Bioprozessmonitoring weiter gefordert.

Literatur

[1] Stanke, M. & Hitzmann, B. (2013) Advances in Biochemical Engineering/Biotechnology, 132, 35–63
[2] Becker, T. et al. (2007) Advances in Biochemical Engineering/Biotechnology; 105, 249–293
[3] Sagmeister, P. et al. (2013) Chemical Engineering Science, In Press
[4] Landgrebe, D. et al. (2010) Applied Microbiology and Biotechnology 88, 11–22
[5] Grote, B. et al. (2011) tm – Technisches Messen 78,12, 569–577
[6] Gottschalk, U. & Shukla A.A. (2013) Trends in Biotechnology 31,3, 147–154

Foto: © panthermedia | Hannu Viitanen

Stichwörter:
biotechnische Prozesse, Mehrphasensysteme, Bioprozess, Biotechnologie, Bioreaktor, Upstreaming, Kultivieren, Biotransformation, Downstreaming, Phasen eines Bioreaktors, Messung biotechnischer Prozess, Bestimmung von Biotrockenmasse, In-situ-Sensor, Ex-­situ-Sensor, Fließinjektionsanalyse-System, Merkmale von Sensoren, Sensortechnologie, Sensorverfahren, Prin­cipal-component-Analyse, Partial-least-square-Analyse, Turbidimetrie, Nephelometrie, Fluoreszenzspektrometer, UV/VIS Spektrometer, Ramanspektrometer, NIR-Spektrometer, kostengünstiger Prozessanaly­­sa­tor, Bioprozessgrößen, Fluoreszenzspektroskopie, NIR-Spektro­skopie, In-situ-Mikroskopie, Fluoreszenzver­mögen, Thermistoren, Piezokristallen, Feld­effekttransistoren, Bioprozessmonitoring ,

C&M 5 / 2013

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe C&M 5 / 2013.
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