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C&M-1-2012 > Effizienzsteigerung im Engineering technischer Anlagen

Effizienzsteigerung im Engineering technischer Anlagen

Ergebnisse mehrfach nutzen

Aufgrund der Globalisierung hat sich in den letzten Jahrzehnten der Marktwettbewerb signifikant ­verstärkt. Um wettbewerbsfähig zu bleiben,
mussten Anlagenbauer neue Möglichkeiten finden, um die Preise zu senken und gleichzeitig die Qualität ihrer Produkte zu steigern. Dies hat dazu geführt, dass Unternehmen das Engineering technischer Anlagen unter Einsatz der Wiederverwendung als eine mögliche Lösung betrachtet haben. Wiederverwendung bedeutet, dass ein Arbeitsergebnis nicht nur ­einmalig verwendet wird, sondern in unterschiedlichen Projekten zum Einsatz kommt. Im Fall der ­technischen Anlagen werden insbesondere Teile von elektronischen Systemen und Software wieder­verwendet [1]. Vor allem bei technischen Anlagen mit vielen Gemeinsamkeiten ist eine Wiederver­wendung naheliegend, wie in Abbildung 1 dargestellt.

Technische Anlagen haben viele Sensoren und Aktoren und weisen einen mittleren bis hohen Automatisierungsgrad auf [1]. Sie werden in der Regel kundenspezifisch ­errichtet. Beispiele dafür sind Ölraffinerien, Stahlwalzwerke oder Fertigungsstraßen. Der technische Prozess besteht aus einzelnen Teilvorgängen, die auf größeren, räumlich ausgedehnten Anlagen ablaufen [1].

Um eine Effizienzsteigerung im Engineering technischer Anlagen zu ermöglichen, wird zuerst der Engineeringprozess näher untersucht.

Klassisches Engineering technischer Anlagen

Unter Engineering werden in einem ein­geschränkten Sinn vor allem die nicht­konstruktiven Tätigkeiten bei der Konzipierung, Projektierung und Errichtung technischer Anlagen verstanden [1]. Sehr oft wird der Begriff als Synonym für die Projektierung verwendet. Allgemein bedeutet dies, dass das zu errichtende automatisierte System, in diesem Fall die technische Anlage, aus käuflich erwerbbaren, modular zusammensetzbaren Geräte- und Softwarekomponenten aufgebaut wird [1].

Für technische Anlagen beinhaltet das ­Engineering die Phasen Grundlagen­ermittlung, Vorplanung, Basisplanung, Ausführungsplanung, Errichtung und Inbetriebnahme [2], wobei die Ergebnisse der einzelnen Phasen in den nachfolgenden Phasen benötigt werden (Abb. 2).

Wird nach Abschluss des Projektes ein neues Projekt durchgeführt, müssen diese Aktivitäten wiederholt durchgeführt werden. Die Wiederverwendung erfolgt heutzutage in den meisten Fällen jedoch spontan und unsystematisch [3, 4]. Das bedeutet, dass der jeweilige Entwickler nach seinen eigenen Erfahrungen und Ansichten entscheidet, welche Arbeitsergebnisse aus abgeschlossenen Projekten sich für das neue Projekt eignen und wie diese angepasst werden. Eine systematische Vorgehensweise, um wiederverwendbare Arbeitsergebnisse zu identifizieren, u. U. neu zu erstellen und einzusetzen, wird trotz der vielen Bemühungen nicht erreicht. Funktionierende wissenschaftliche und industrielle Ansätze zur Wiederverwendung betrachten nur Teile der technischen Anlage wie zum Beispiel die Software oder die mechanischen oder elektrischen Komponenten [5]. Insbesondere werden keine konkreten Anleitungen gegeben, wie wiederverwendbare Arbeitsergebnisse systematisch identifiziert oder entwickelt werden sollen und vor allem, wie sie nachher projektspezifisch anzupassen sind. Diese Vorgehensweise verbirgt das Risiko, dass auch bei vorhandenen wiederverwendbaren Arbeitsergebnissen die Wiederverwendung innerhalb der einzelnen Projekte suboptimal sein kann. Nachteilig ist auch die Wiederverwendung hauptsächlich auf Dokumentenebene. So werden zum Beispiel Anforderungen, CAD-Zeichnungen, Berechnungen, Fertigungspläne und Kostenkalkulations­tabellen wiederverwendet. Eine Wiederverwendung der Arbeitsergebnisse auf einer höheren Abstraktionsebene ist jedoch nicht vorgesehen.


Abb.1.: Beispiele von technischen Anlagen, die ähnliche technische Prozesse umsetzen


Abb.2.: Engineering technischer Anlagen nach [2]


Abb.3.: Wiederverwendungskonzept zum Engineering technischer Anlagen [7]

Effizienzsteigerung im Engineering technischer Anlagen durch systematische Wiederverwendung

Für eine effiziente Wiederverwendung ist erforderlich, dass diese systematisch, geplant und mit vorhersagbaren Ergebnissen erfolgt [6]. Das bedeutet, dass wieder­verwendbare Arbeitsergebnisse im Vorfeld nach einer bestimmten Vorgehensweise vorbereitet und anschließend projektbe­zogen eingesetzt werden – abhängig von den jeweiligen Anforderungen.

In der Softwarewelt existieren bereits ­Ansätze, die eine systematische Wieder­verwendung gewährleisten. Die Innova­tionszyklen für Software sind viel kürzer als für Hardware: Es werden ständig neue ­Aktualisierungen einer bestehenden Softwareapplikation angeboten, Differenzierungsmerkmale anhand von Software ermöglicht oder aber Softwareapplika­tionen, die viele Gemeinsamkeiten haben, in einer Domäne erstellt. Aus diesem Grund wurde die Fragestellung nach einer systematischen Wiederverwendung viel intensiver erforscht als in der Hardwarewelt.

Ausgehend von den Ansätzen aus der Softwarewelt wurde im Rahmen einer Forschungsarbeit am Institut für Automatisierungs- und Softwaretechnik der Universität Stuttgart ein Konzept entwickelt, das die Aufteilung des Engineerings in projekt­abhängige und projektunabhängige Tätigkeiten vorschlägt [3, 7]. Tätigkeiten, die ­unabhängig von einem konkreten Projekt zur systematischen Analyse, Entwurf und Realisierung von wiederverwendbaren ­Arbeitsergebnissen benötigt werden, ge­hören zum Prozess des Domain Engineerings [3]. Eine Domäne (engl. „Domain“) ist dabei als abgrenzbarer Anwendungsbe­reich zu verstehen, in dem typische Technologien mit vergleichbaren Methoden für gleiche Interessengruppen eingesetzt werden [8]. Das Domain Engineering findet in Form von Vorfeldarbeit statt, die von ­Domainexperten verrichtet wird. Domainexperten sind erfahrene Ingenieure, die innerhalb der Domäne bereits mehrere Projekte erfolgreich durchgeführt haben.

Die projektabhängigen Tätigkeiten, die ­eine neue technische Anlage als Ergebnis haben, gehören zum Prozess des Application Engineerings. Dafür werden die wiederverwendbaren Arbeitsergebnisse eingesetzt, die im Domain Engineering erstellt wurden.

Die während des Domain Engineerings erzielten wiederverwendbaren Arbeitsergebnisse werden in einer Domänenbibliothek (Domain Repository) gespeichert. Wiederverwendbare Arbeitsergebnisse sind sowohl die Bestandteile der späteren technischen Anlagen inklusive Informationen über deren Beziehungen untereinander als auch das Domänenwissen im Hinblick auf Konfigurationsmöglichkeiten, Realisierungsformen, physikalische Abhängigkeiten, Zuverlässigkeit, Preis, mögliche Hersteller, erfüllte Normen oder notwendige Zertifizierungen etc. Des Weiteren beinhaltet das Domain Repository die Softwarewerkzeuge, die während des Application Engineerings zur Erstellung projektspezifischer industrieller Lösungen erforderlich sind.

Die Rückkopplung zwischen Application Engineering und Domain Engineering symbolisiert die Erfahrungen, die während der Projektabwicklungen, also während des Application Engineerings, gemacht werden und in das Domain Engineering einfließen. Solche Erfahrungen könnten z. B. Informationen bezüglich der in unterschiedlichen Projekten eingesetzten Konfigurationen oder des Verhaltens der Bestandteile der technischen Anlage in einem bestimmten Fehlerfall sein. Diese Erfahrungen werden im Domain Engineering analysiert, um beispielsweise Fehler zu beheben, die angebotene Lösung weiter zu optimieren und damit letztlich rechtzeitig auf neue Markt- und Kundenanforderungen reagieren zu können. Diese Zusammenhänge sind in Abbildung 3 dargestellt.

Das Wiederverwendungskonzept wurde anhand theoretischer Überlegungen und Projekterfahrungen entwickelt. Für eine Überprüfung der Umsetzbarkeit war es erforderlich, dieses anhand konkreter Domänen zu evaluieren [7]. Dafür wurden in einem ersten Schritt sowohl das Domain Engineering als auch das Application ­Engineering für die Domäne „Lasten- und Personenaufzüge“ durchgeführt. Die gesammelten Erfahrungen wurden zur Verfeinerung und zur Erweiterung des Wiederverwendungskonzeptes eingesetzt. Um die Adaptierbarkeit des Wiederverwendungskonzeptes zu demonstrieren, wurde eine zweite Domäne „Modulare Produk­tionssysteme“ zur Evaluierung herangezogen.

Zusammenfassung

In diesem Beitrag wurde ein Ansatz zur Steigerung der Effizienz im Engineering technischer Anlagen präsentiert. Nach einer kurzen Vorstellung der heutigen Vorgehensweise wird der Wiederverwendungsansatz eingeführt, der auf der Aufteilung des Engineering in projektabhängige und projektunabhängige Tätigkeiten basiert.

Ein wesentlicher Vorteil des entwickelten Wiederverwendungskonzeptes ist die ganzheitliche Betrachtung der technischen Anlage. Im Unterschied zu existierenden Wiederverwendungsansätzen, die nur die Software oder nur die Hardware berücksichtigen, wurde im vorliegenden Konzept die gesamte technische Anlage behandelt. Dadurch werden auch die Abhängigkeiten zwischen Hardware und Software erfasst.

Aufgrund der durchgeführten Fallstudien ist abzusehen, dass der Wiederverwendungsansatz eine Steigerung der Effizienz im Engineering von technischen Anlagen mit unmittelbaren Vorteilen für die einzelnen Projekte ermöglicht. Neben Verkürzung der Projektlaufzeit, technischer Reife und Kostenminimierung ist auch eine Risiko­minimierung für die Projektabwicklung zu erwarten.

Literatur

[1] Lauber, R.; Göhner, P.: Prozessautomatisierung 2. 1. Aufl., Berlin, Heidelberg, New York: Springer-Verlag, 1999.
[2] NAMUR: Namur Arbeitsblatt 35: Abwicklung von PLT-­Projekten. Beuth Verlag, 2003.
[3] Pohl, K.; Böckle, G.; van der Linden, F.: Software Product Line Engineering. Springer Verlag Berlin Heidelberg, 2005.
[4] Berger, T.: Softwareproduktlinien-Entwicklung – Domain-Engineering: Konzepte, Probleme und Lösungsansätze. Fallstudie über die Entwicklung eines Portals und eines Frameworks zur Unterstützung elektronischer Prüfungs­abläufe. Leipzig, 2007.
[5] Ferber, S.; Haag, J.; Savolainen, J.: Feature Interaction and Dependencies: Modeling Features for Re-engineering a ­Legacy Product Line. Software Product Lines: Second International Conference (SPLC2), s. 235-256, San Diego, USA, 2002.
[6] Clemens, P.; Northrop, L.: Software Product Lines. Software Engineering Institute, Carnegie Mellon University, 2003.
[7] Maga, C.; Jazdi, N.; Ehben, Th.; Tetzner, T.: Erfahrungen aus der Evaluierung eines Engineering Ansatzes für das industrielle Lösungsgeschäft. Automation Kongress Baden-Baden, 2010.
[8] K. Czarnecki, U. Eisenecker: Generative Programming. B­oston, San Francisco, New York: Addison-Wesley Verlag, 2000.

Stichwörter:
Globalisierung, Automatisierungsgrad, Engineering, Grundlagenermittlung, Vorplanung, Basisplanung, Ausführungsplanung, Errichtung, Inbetriebnahme, Softwarewelt, Innovationszyklen, Differenzierungsmerkmale, Domainexperten, Modulare Produktionssysteme, Evaluierung, Fallstudien, Kostenminimierung, Risikominimierung,

C&M 1 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe C&M 1 / 2012.
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