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Neue Kunststoffe geben Impulse für die Produktentwicklung

Aus einem Guss

Fahrzeugkomponenten, Elektronik, Dämmstoffe: Neue Kunststoffe ermöglichen es, Produkte leichter, stabiler und damit auch energie- effizienter zu machen. Dr. Ulrich Liman, Senior Vice President Innovation Management bei Bayer Material Sciences, erläutert im Interview, welche Neuentwicklungen schon bereit für den Markt sind und welche Herausforderungen es in Zukunft für die Kunststoffindustrie gibt.

Herr Dr. Liman, Kunststoffe haben in den vergangenen Jahren immer mehr Wirtschafts- und Lebensbereiche erobert, vom Bauwesen über die Fahrzeugtechnik bis zur Fotovoltaik. Was sind aktuell interessante Anwendungsbeispiele aus Ihrem ­Unternehmen?

Bayer MaterialScience unterstützt zurzeit das spektakuläre Projekt Solar Impulse der Schweizer Pioniere Bertrand Piccard und André Borschberg: Im kommenden Jahr wollen sie mit einem nur von Solarenergie angetriebenen Flugzeug erstmals die Erde umrunden. An Bord des Solarfliegers sind verschiedene innovative Produkte aus ­unserem Unternehmen, die das Flugzeug leicht und zugleich stabil machen. Im Cockpit sorgt beispielsweise ein sehr leistungsfähiger Polyurethan-Dämmstoff für ein angenehmes Klima, denn die an Bord erzeugte Solarenergie soll vor allem für die Fortbewegung des Flugzeugs zur Verfügung stehen.

Das Projekt demonstriert eindrucksvoll, wie unsere Materialentwicklungen dazu beitragen können, das Leben der Menschen zu verbessern und den globalen Trend zur Mobilität zu unterstützen, dabei aber unsere Lebensgrundlagen und die Umwelt zu schonen.

Darüber hinaus bieten die innovativen ­Materialien aber noch viel Potenzial für die weitere Nutzung in anderen Industriebranchen. Der im Beispiel genannte Cockpit-Werkstoff verfügt über eine noch höhere Dämmleistung als die zurzeit in Kühlgeräten standardmäßig eingesetzten Polyurethan-Schäume. Das liegt an der feinporigen Struktur des neuen Schaums. Wir haben unser Produkt und seine Verarbeitung deshalb so weiterentwickelt, dass Kühlschrankhersteller mit einer einfachen Prozesstechnik Geräte der Energieeffizienzklasse A++ und höher fertigen können.

Ein Beispiel, das Bayer vor Kurzem vorgestellt hat, sind Produkte aus Polycarbonat für die LED-Lichttechnik – können Sie etwas zu den Entwicklungsphasen für solche Produkte sagen?

Bayer MaterialScience engagiert sich für die LED-Lichttechnik, da sie energieeffi­zient und dauerhaft ist, unseren Kunden aber auch viele Möglichkeiten für die ­Gestaltung ihrer Produkte bietet. Unser ­Unternehmen hat dafür das Makrolon® LED-Sortiment entwickelt. In optischen Komponenten sorgen diese hochwertigen Polycarbonat-Kunststoffe für die gewünschte Lenkung, Bündelung, Streuung und Reflexion des LED-Lichts. Aus den Produkten können ganz verschiedene Lampenteile hergestellt werden, z.B. Linsen, Lichtleiter, Reflektoren, Streuscheiben, Kühlkörper und Gehäuseteile. Außerdem haben wir spe­zielle Prozesstechnologien entwickelt, mit denen Kunden bei der Herstellung solcher Komponenten unterstützt werden.


Das Experimental-Flugzeug „Solar Impulse“: leicht und stabil


Freiformlinse aus Polycarbonat-Kunststoff


PUR-Schaum - auf Basis von CO2 hergestellt

Ein Beispiel sind komplex geformte Kollimator-Linsen mit asymmetrischen Freiflächen, die das Licht von Autoscheinwerfern möglichst verlustfrei bündeln und präzise auf die Straße ausrichten sollen. Während klassische Linsensysteme für diese Aufgabe aus mehreren Komponenten bestehen, die aufwendig hergestellt werden müssen, gelingt die Fertigung nun in einem speziellen Spritzgießwerkzeug. Das von Bayer entwickelte Werkzeug verfügt über zwei Kavitäten, in denen die komplexen Linsen in einem zweistufigen Prozess hergestellt werden. Ein spezieller, hoch transparenter Makrolon® Typ sorgt für eine weitgehend verlustfreie Bündelung des LED-Lichts.

Kann ein Unternehmen wie Bayer Entwicklungen alleine vorantreiben oder gibt es dazu Kooperationen mit wissenschaft­lichen Instituten? Wie gestalten Sie diese Zusammenarbeit?

Bayer MaterialScience setzt im Sinne der Open Innovation auf die Zusammenarbeit mit externen wissenschaftlichen Einrichtungen sowie Ausgründungen und Start-up-Unternehmen im akademischen Bereich. Die Schwerpunkte dieser Kooperationen liegen in Europa, den USA, China und ­Japan. Im Fokus stehen Themen wie nachwachsende Rohstoffe, erneuerbare Energien und neue Kompositmaterialien für den Leichtbau. In Deutschland beispielsweise zählt die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen zu unseren Partnern, mit der wir gemeinsam das CAT Catalytic Center unterhalten. Diese Einrichtung ist international führend in der Katalyseforschung. Im Rahmen dieser Zusammen­arbeit wurden u.a. wichtige Erkenntnisse für die Nutzung von Kohlendioxid als neuem Rohstoff für die Kunststoffproduktion gewonnen.

Die kommende Messe „Composites“ stellt nachwachsende Rohstoffe in ihrem „Bio-based Pavillion“ vor. Wie weit werden ­solche Materialien schon in Ihren Produkten eingesetzt? Welche Rolle spielt das Recycling bei der Entwicklung von neuen Werkstoffen?

Wir befürworten die Nutzung erneuerbarer Rohstoffe, da sie im Einklang mit unseren Nachhaltigkeitszielen stehen. Dies gilt vor allem für den Ersatz nicht-nachwachsender Rohstoffe wie Erdöl und seiner Derivate. Wir nutzen erneuerbare Rohstoffe ins­besondere dann, wenn sie ökonomisch und ökologisch zu gewinnen sind und unseren Kunden einen Mehrwert bringen. Ein wichtiges Ziel ist dabei, das hohe Eigenschaftsniveau konventioneller Produkte zu erreichen oder sogar zu übertreffen. Darüber hinaus ist natürlich die Akzeptanz im Markt ein wichtiges Kriterium für unsere Entwicklungsaktivitäten. Neben der Verwendung pflanzlicher Rohstoffe ist die Nutzung des Treibhausgases CO2 ein aktueller Schwerpunkt.

Alle Produkt- und Prozessentwicklungen bei Bayer MaterialScience sollen der ­Gesellschaft und der Umwelt nutzen und Werte schaffen. Im Sinne dieser Nachhaltigkeitsziele unterstützen wir ausdrücklich Modelle der Kreislaufwirtschaft. Über ihren Lebenszyklus senken unsere Produkte ­Energieverbrauch und CO2-Emissionen, sie tragen zur Ressourcenschonung bei und reduzieren die Menge an Kunststoffabfall.

Welche neuen Anforderungen an die Verfahrenstechnik stellen die neuen Produktgenerationen – sowohl im Hinblick auf ihre Herstellung als auch in der Weiterverarbeitung durch Ihre Kunden?

Eine energie- und kosteneffiziente Produktion ist unser Kernziel, um das Nachhaltigkeitskonzept von Bayer MaterialScience ­zu erfüllen und unsere Position als ein führendes Kunststoffunternehmen zu halten. In unserer eigenen Produktion spielt der Rohstoff Chlor eine wichtige Rolle. Seine Herstellung ist jedoch sehr energieintensiv. Die von uns gemeinsam mit einem Part­ner entwickelte Sauerstoff-Verzehrkathoden-Technik senkt den Energieverbrauch bei der Chlorproduktion gegenüber dem etablierten Membranverfahren um rund 30%. Für die Herstellung von TDI, einer Kernkomponente für Polyurethan-Weichschaum, haben wir eine Technik entwickelt, die bis zu 60% weniger Energie verbraucht. Der Einsatz von Lösungsmitteln kann sogar um 80% verringert werden.

Aus ähnlichen Gründen spielt die Energie- und Kosteneffizienz auch in der Produk­tion bei unseren Kunden eine zentrale Rolle. Bayer MaterialScience unterstützt sie mit der Entwicklung innovativer und nachhaltiger Herstellverfahren. Ein aktuelles Beispiel ist die Fertigung von Rotorblättern für Windkraftanlagen. Vor allem Kostensenkungen sind ein wichtiger Treiber für diese Art der Energieerzeugung aus regenerativen Quellen. In unserem globalen Windkraftzentrum im dänischen Otterup haben wir ein Verfahren entwickelt, bei dem ein spezielles Polyurethan-Infusionsharz in eine Form gefüllt wird, in der sich bereits viele Glasfasermatten und ein fester Kern befinden. Das Harz ist sehr fließfähig und füllt die Form dadurch schnell aus. Der entstehende Werkstoffverbund ist außerdem sehr robust und erlaubt die Herstellung von Rotorblättern mit großen Längen, wie sie für eine effizientere Energieerzeugung benötigt werden.

Wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.
(Interview: Horst Holler)

Foto: © Aufmacherfoto: EDC GmbH, Flugzeug: Solar Impulse, PUR-Schaum: Bayer MaterialScience AG

Stichwörter:
Fahrzeugkomponenten, Polyurethan-Dämmstoff, Materialentwicklungen, Polyurethan-Schäume, Spritzgießwerkzeug, wissenschaft­lichen Instituten, Kohlendioxid, energie- und kosteneffiziente Produktion, Kernziel, Nachhaltigkeitskonzept, Glasfasermatten,

C&M 5 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe C&M 5 / 2014.
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