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Kommunikationspflichten unter der REACH-Verordnung durch EUGH-Urteil verschärft

Kommunikationspflichten unter der REACH-Verordnung durch EUGH-Urteil verschärft

Miteinander reden ist Pflicht!

Die Informationspflichten nach Artikel 33 für besonders besorgniserregende Stoffe wurden mit dem EUGH-Urteil vom 10. September 2015 erweitert. Inverkehrbringer von Erzeugnissen müssen ab sofort auch Auskunft über diese Stoffe in Teilerzeugnissen geben.

Den meisten Unternehmen in Deutschland dürfte die REACH-Verordnung mittlerweile bekannt sein. Wirklich?

Am 1. Juni 2007 trat die REACH-Verordnung in Kraft. Sie zentralisiert das europäische Chemikalienrecht und verfolgt unter anderem das Ziel, ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und Umwelt sicherzustellen. Die wesentlichen und bereits häufig thematisierten Anforderungen leiten sich aus den fünf Buchstaben R-E-A-C-H ab: (R)egistrierung, (E)valuierung, (A)ssessment und Beschränkung von (Ch)emischen Stoffen. Eine wesentliche Anforderung spiegelt sich in dem Akronym jedoch nicht unmittelbar wider und wird daher häufig vergessen: die Pflicht zur Weitergabe von Informationen in der Lieferkette. Spätestens seit dem 10. September 2015 hat sich dies geändert. Gemäß dem EUGH-Urteil müssen seit diesem Tag sämtliche Inverkehrbringer von Erzeugnissen diese Pflicht nicht nur bezogen auf das Gesamterzeugnis erfüllen, sondern auch für (Teil-)erzeugnisse.

Der Begriff des Teilerzeugnisses existiert unter REACH nicht, wurde bis zum Gerichtsurteil jedoch häufig in der Praxis verwendet, um zwischen dem Endprodukt und Komponenten oder Baugruppen zu unterscheiden. Die Informationsweitergabe in der Lieferkette er­hält mit diesem Urteil zukünftig ein stärkeres Gewicht und stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen, denn sie waren nicht einmal bisher in der Lage, der Informationspflicht nach der alten Aus­legung des Erzeugnisbegriffs nachzukommen. Wie soll das jetzt funktionieren?

Artikel 33 – Hintergrund und Urteil

Für die inhaltliche Ausgestaltung des Artikels 33 waren zwei wesentliche Erwägungsgründe maßgeblich. Zum einen betraf es die Verantwortung der Lieferanten, im Rahmen ihres Risikomanagements Informationen an die nachgeschalteten Akteure zu liefern. Per Definition im Artikel 3 Nr. 33 der REACH-Verordnung ist der Lieferant der „Produzent oder Importeur eines Erzeugnisses, Händler oder anderer Akteur der Liefer­kette, der das Erzeugnis in Verkehr bringt“. Zum anderen war ein wesentlicher Aspekt die Schaffung von Transparenz gegenüber dem EU-Bürger, um die Qualität seiner Kaufentscheidung von Produkten zu erhöhen. Der Artikel 33 schreibt vor, dass jeder Lieferant eines Erzeugnisses, welches einen besonders besorgniserregenden Stoff (engl.: SVHC) der Kandidatenliste in einer Konzentration von > 0,1 Masseprozent enthält, dem industriellen oder gewerblichen Abnehmer zumindest den Stoffnamen nennt. Diese unmittelbare Pflicht der Weitergabe von Informationen bezieht sich allerdings nicht auf den Verbraucher. Der private Abnehmer hat jedoch das Recht, auf sein Ersuchen innerhalb von 45 Tagen die Information vom Lieferanten kostenlos zu erhalten. Bisher war nicht klar, ob sich der Erzeugnis­begriff ausschließlich auf das Gesamterzeugnis bezieht oder auch auf (Teil-)erzeugnisse. Deutschland und einige andere Mitgliedstaaten vertraten die Auffassung: „einmal ein Erzeugnis – immer ein Erzeugnis“. Das Gericht gab ihnen Recht.


Abb.1 PDCA-Zyklus am Beispiel von REACH

Folge des Urteils

Welche Konsequenzen hat diese Entscheidung für Unternehmen? Musste bisher beispielsweise der Lieferant eines PKWs Auskunft über SVHC-Stoffe bezogen auf das Gesamterzeugnis und damit auf das Gesamtgewicht des Autos geben, hat er nun die Pflicht darüber zu informieren, in welchen (Teil-)erzeugnissen des PKWs (z.B. Lenkrad, Leiterplatten, Sensoren) SVHC-Stoffe in Mengen größer 0,1 Masseprozent enthalten sind. Die Informationspflicht gilt nicht nur für B2B Produkte, sondern auch für B2C-Produkte. Das produzierende Gewerbe und der Handel sind somit fast vollständig von dieser Pflicht betroffen.

Herausforderungen für Unternehmen

Es ist zu beobachten, dass die Anforderungen der REACH-Verordnung in vielen Unternehmen bisher nicht systematisch umgesetzt wurden. Das Gerichtsurteil dürfte diese Unternehmen stärker unter Druck setzen, zumal sich laut Aussage der ECHA die Kandidatenliste bis 2020 von derzeit 163 Stoffen auf ca. 600 ausweiten wird. Weiterhin besteht für Lieferanten und Verwender dieser Stoffe ab einem bestimmten Datum das Risiko des Verwendungsverbotes, sofern der Stoff in Anhang XIV aufgenommen und keine verwendungsspezifische Zulassung erteilt wurde. Die permanente Aussagefähigkeit von Lieferanten bezüglich ihrer Erzeugnisse nach Artikel 33 wird erhöhten administrativen Aufwand verursachen, insbesondere wenn man sich die Schwierigkeit der Informationsbeschaffung in globalen Lieferketten vergegenwärtigt. Viele Unternehmen beziehen ihre Materialien außerhalb der EU und besitzen keinerlei Druckmittel, um von ihren Lieferanten vertrauenswürdige und sichere Materialinformationen zu bekommen um darauf aufbauend eine verlässliche Einschätzung ­ihrer Produkte auf das Vorkommen von SVHC-Stoffen vorzunehmen. Vollständig global verfügbare Systeme zur systematischen Weitergabe von Informationen und deren Prüfung auf Vertrauenswürdigkeit entlang der Lieferkette existieren derzeit nicht. Hier ist der Inverkehrbringer des Erzeugnisses gefragt, sich seiner von der EU geforderten Verantwortung bewusst zu werden und dieser durch interne Risikomanagementmaßnahmen im Rahmen der Materialaufklärung nachzukommen.


Abb.2 Lieferanten-Material-Risikomatrix

Ansätze zum Umgang mit SVHC-Stoffen im Erzeugnis

Wie kann ein Unternehmen in dieser Situation reagieren? Generell bleibt festzustellen, dass ein Unternehmen einer ganzheitlich wirkenden REACH-Verordnung nur ganzheitlich begegnen kann. Daher ist es für Unternehmen wichtig, eine systematische Vorgehensweise zu entwickeln, um die Gesetzesanforderungen zu erfüllen. Der grundlegende Aufbau eines solchen Systems sollte der in Abbildung 1 dargestellten Logik entsprechen.

Am Beispiel des Herstellers eines Erzeugnisses mit Sitz in der EU soll diese Vorgehensweise zur Erfüllung der Informationspflichten nach Artikel 33 abschließend verdeutlicht werden:

Zunächst ist es sinnvoll, die rechtlichen Anforderungen an das Erzeugnis zu ermitteln. In dem hier gewählten Beispiel besteht die Anforderung darin, die Aussagefähigkeit bzgl. des Vorkommens von SVHC-Stoffen in dem Erzeugnis (bezogen auf jedes einzelne „Teilerzeugnis“) hergestellt zu haben (Targets). Im nächsten Schritt werden daher auf Basis der Stückliste vorliegende Informationen gesammelt (Actual company status).

Auf Basis dieser (wahrscheinlich unvollständigen) Informationen wird im Anschluss eine Risikobewertung (Risk assessment) bezogen auf das Produkt (Erzeugnis) durchgeführt. Gegenstand der Bewertung ist zum einen das Risiko, mit dem ein SVHC-Stoff in den im Produkt enthaltenen Materialien/ (Teil-)erzeugnissen vorkommt, zum anderen das eigene Vertrauen in die Informationen, die vom Lieferanten erhalten wurden. Diese Herangehensweise wird bereits in der DIN EN 50581:2013 [1] zur Umsetzung der RoHS2-Richtlinie [2] praktiziert und deckt sich mit dem bereits genannten Erwägungsgrund des Artikel 33. Abbildung 2 zeigt eine mögliche Darstellung des Ergebnisses der ersten Risiko­einstufung.

Bei einem niedrigen Risiko (L) kann das Vorhandensein von SVHC-Stoffen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nahezu ausgeschlossen werden. Ein mittleres Risiko (M) deutet darauf hin, dass das Vorkommen eines SVHC-Stoffes im Erzeugnis möglich ist. Ein hohes Risiko (H) bedeutet, dass weder über das Material noch den Lieferanten eindeutige Aus­sagen bzgl. des Vorkommens von SHVC-Stoffen vorliegen.

Ausgehend von dieser ersten Einstufung sollte eine Nachforderung von Lieferanten­informationen, insbesondere bei einem mittleren oder hohen Risiko entstehen. Auch die Notwendigkeit eigener chemischer Analysen sollte zur Absicherung der eigenen Unternehmensrisiken in Erwägung gezogen werden, insbesondere dann, wenn keine oder wenig vertrauenswürdige Informationen aus der Lieferkette vorliegen. Auch ein Stichprobenprüfplan nach Skip-Lot Verfahren stellt einen sehr praktikablen Ansatz dar (Required actions).

Das Ergebnis der Nachprüfung spiegelt sich in der Neubewertung des Materialrisikos und des Lieferanten wider.

Im letzten Schritt ist es ratsam einen konti­nuierlichen Prüfprozess bei Erweiterung der Kandidatenliste zu definieren. Dieser sollte in bestehende Prozesse und Systeme integriert und damit dem kontinuierlichen Verbesserungsprozess unterworfen werden (Long term validation).

Literatur
[1] Technische Dokumentation zur Beurteilung von Elektro- und Elektronikgeräten hinsichtlich der Beschränkung gefährlicher Stoffe
[2] Richtlinie 2011/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten

C&M 6 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe C&M 6 / 2015.
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