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Fluidverfahrenstechnik leistet einen wesentlichen Beitrag zur Energieeffizienz

Die sauberste Energie ist die gesparte Energie

Vor dem aktuellen Hintergrund von Klimaschutz und Ressourcenschonung sind auch die Prozessindustrien (wie chemische, ­petrochemische, pharmazeutische Industrie) gezwungen, unter
besonderer Berücksichtigung ökonomischer und ökologischer ­Aspekte zu produzieren. Das Ziel des minimalen Energieaufwands bei maximaler Produktivität stellt eine Herausforderung dar, die nicht nur innovativer Technologien, sondern auch einer Steigerung der Effizienz bestehender Prozesse bedarf. Strategien zur Senkung des Energieaufwands durch Verfahrensumgestaltung oder -optimierung wurden entwickelt – Strategien, die unter das Schlagwort der „Prozessintensivierung“ fallen. In dieser Richtung leistet auch unser Lehrstuhl einen wesentlichen Beitrag zu den innovativen Entwicklungen der Prozessintensivierung, v.a. durch die Untersuchung und Optimierung energieintegrierter Apparate und Mikrostrukturapparate sowie energieeffizienter Wärmeübertrager, Verdampfer und Kondensatoren.

Die besonderen Gegebenheiten unserer Zeit treiben die Anforderungen an die ­Qualität von Produkten kontinuierlich nach oben. Dies betrifft beispielsweise Reinheit (von Medikamenten oder bei der Luftreinhaltung), hohe Konzentration und scharfe Trennungen (Lösemittelrückgewinnung, Elek­tronik, Additive) oder Selektivität (Vermeidung unerwünschter Nebenprodukte). Produktionsprozesse erweisen sich somit nicht nur als äußerst komplex, sondern auch als energieintensiv. Das trifft besonders auf thermische Trennverfahren zu: Gerade die Destillation macht über 3% des weltweiten Energieverbrauchs aus – ein immenser Anteil, wenn man bedenkt, dass dies nur ein einziges Verfahren unter einer Vielzahl von Verfahren darstellt.

Fortschritte in der Informationsverarbeitung und der numerischen Mathematik, modernste Technologien und Trennverfahren – sie alle eröffnen neue Möglichkeiten zur Lösung von Problemen unserer Zeit. Unser Lehrstuhl stellt sich diesen Herausforderun­gen und forscht an der Weiterentwicklung von prozesstechnischen Methoden zur ­Behandlung von Flüssigkeiten und Gasen – dies alles unter den Prämissen von Produkt­qualität und Energieeinsparung – sowie zur Steigerung der Effizienz von Produktions­prozessen.

Geschickt integrieren

Seit Jahren ist in den Prozessindustrien ein wachsendes Interesse an Verfahren zu verzeichnen, welche chemische Reaktion und Stofftrennung zielgerichtet in einem ­integrierten Prozess verbinden. Ein gutes konkretes Beispiel, bei dem verschiedene Funktionalitäten in einem Apparat ver­bunden werden, stellt die so genannte ­Reaktivrektifikation dar. Während in konventionellen Verfahren die dem Reaktor nachfolgende Trennung generell in meh­reren seriell geschalteten Rektifikations­kolonnen erfolgt, reagieren bei der Reaktivrektifikation die Edukte in derselben Kolonne, in der das entstandene Produktgemisch aus nicht abreagierten Edukten und Produkten getrennt werden soll. Die Reaktivrektifikation kombiniert somit die beiden Prozesse durch Einsatz eines Reaktors im Inneren der Rektifikationskolonne. Auf diese Weise können die daraus resultierenden Reaktionseinschränkungen umgangen und dadurch deutlich bessere Trennschärfen und Ausbeuten sowie höhere Reaktionsumsätze erreicht werden. Darüber hinaus werden üblicherweise die In­vestitionskosten und der Ressourcenverbrauch durch den kleineren apparativen Aufwand deutlich reduziert. Der integrierte Prozess ist jedoch komplexer als gewöhnliche Verfahren und erfordert hinsichtlich verschiedener Aspekte wie Apparate- und Einbautendesign, Prozessgestaltung und -optimierung ein umfassendes Verständnis [1].

Die Reaktivrektifikation sowie andere ähnliche Verfahren wie reaktive Absorption/Desorption oder Reaktivextraktion integrie­ren verschiedene Funktionalitäten in einem Apparat („funktionale Integration“). Eine andere Integrationsform, bei der pa­rallel und/oder seriell durchgeführte Trenn­opera­­tio­nen in einem Apparat kombiniert werden, kann als „apparative Integration“ bezeichnet werden. Ein Beispiel dafür ist die sog. Trennwandkolonne (TWK). Diese innovative Technologie, bei der einfach ­eine vertikale Trennwand im mittleren Abschnitt einer Seitenstromkolonne platziert wird ­(siehe Abb. 1) [2], ermöglicht eine Zu­­sam­men­­bin­dung von zwei Rektifikationskolonnen und somit die Beseitigung von un­güns­tigen Rückvermischungen der Kompo­nenten. Dadurch steigert sich der Wirkungsgrad der Kolonne und die TWK-Tech­nologie weist erhebliche Energie­­ein­sparungen von über 50?% gegenüber den konventionellen Rektifikationsanlagen auf [3]. Darüber hinaus sind ­signifikante Reduktion der Investitions­kosten­reduktion, verringerter Platzbedarf, erhöhte Flexibilität in der Prozessführung und geringere thermische Belastung bei temperaturempfindlichen Stoffen als weitere Vorteile zu nennen. TWKs stellen eine ­äußerst effektive Methode zur vollständigen Trennung von Mehrstoffgemischen dar und halten aus diesem Grund zunehmend Einzug in die industrielle Anwendung.

Ein noch höherer Integrationsgrad wird erreicht, wenn sowohl funktionale als auch apparative Integration gleichzeitig verwendet werden: Erweitert man beispielsweise den Einsatzbereich von Trennwandkolonnen auf reaktive Systeme, um die Vorteile der Reaktivdestillation mit den Vorzügen der Trennwandkolonne zu kombinieren, so ge­langt man zum Konzept der so genannten reaktiven Trennwandkolonne (RTWK) [4].

„Intelligente“ Kolonneneinbauten entwickeln

Die Effizienz der in einem Trennapparat laufenden Transportphänomene wird weitgehend durch die eingesetzten Kolonneneinbauten (z.B. Böden, Schüttungen, strukturierte Packungen, Monolithen) bestimmt. Die Anforderungen an solche Einbauten sind aber meistens gegensätzlich. Beispiels­weise kann eine erhöhte Trennleistung in den meisten Fällen nur bei gleichzeitiger Steigerung des Druckverlustes über die ­Kolonnenhöhe erreicht werden. Bei der Reaktivrektifikation braucht man hohe ­spezifische Austauschflächen, aber auch ausreichend hohe Flüssigkeitsvolumina. Deshalb ist ein intelligentes Einbauten­design häufig nur durch Lösungen von ­Optimierungsproblemen zu erreichen. Hier ist besonders wichtig, die Fluiddynamik und den Stofftransport zu erfassen, da dadurch die Einbauten dem spezifischen ­Prozess genau angepasst werden können [5]. Ferner erscheinen bestimmte Kombina­tionen bestehender Einbauten als viel versprechend [6].

Anlagen miniaturisieren

Ein anderer Weg zur Reduzierung des ­Energiebedarfes bietet die Mikroverfahrens­technik, die gegenüber konventionellen Apparaten in vielen Anwendungsfällen entscheidende Vorteile aufweist. So können eine deutlich höhere Effektivität bezüglich der Produktausbeute und eine effizientere Nutzung von Rohstoffen und Energie erzielt werden. Realisiert wird das Ganze ­dadurch, dass verfahrenstechnische Produktionsprozesse in Apparaten im Mikromaßstab durchgeführt werden. Diese Apparate weisen eine Mikrostruktur auf, zu der insbesondere Mikrokanäle zählen. Zwei Beispiele für solche Apparate, die von unserem Lehrstuhl untersucht wurden, sind in Abbildung 2 dargestellt. Es handelt sich dabei um einen Mikrodesorber von der Bayer Technology Services GmbH und einen Mikrofallfilmabsorber vom Institut für Mikrotechnik Mainz. Die Struktur dieser Apparate dient zur Kontaktierung eines Gas- und eines Flüssigkeitsstroms und erlaubt die Generierung von sehr hohen Austauschflächen. Somit ist eine äußerst effiziente Durchführung eines Desorptions- bzw. Absorptionsprozesses möglich.

Um die Vorgänge in solchen Apparaten besser verstehen und damit eine Optimierung vornehmen zu können, werden an unserem Lehrstuhl Untersuchungen zur Fluid­dynamik sowie zum Wärme- und Stofftransport durchgeführt, wobei man sich der Computational Fluid Dynamics (CFD) Methode bedient. Diese wird mithilfe von speziellen Computerprogrammen ausgeführt, die eine Berechnung von Geschwindigkeits-, Druck-, Konzentrations- und Temperaturprofilen ermöglichen. Die Herausforderung solcher Untersuchungen besteht vor allem darin, miteinander gekoppelte Vorgänge wie Stofftransport und Wärmetransport im Mikromaßstab zu beschreiben.

Im Rahmen der an unserem Lehrstuhl durchgeführten CFD-basierten Untersuchungen des Mikrodesorbers (Abb. 2a) konnten bspw. Zusammenhänge zwischen den Strömungsverläufen des Gases und der Flüssigkeit sowie der Desorptionsgrad ermittelt werden. Zudem wurden kritische Bereiche, die sich negativ auf den Desorptionsgrad auswirken, lokalisiert, um anschließend Optimierungsansätze zu erarbeiten, die zu einer erheblichen Steigerung der Apparate­effizienz führten [7]. Weitere Studien widmen sich dem in Abbildung 2b gezeigten Mikrofallfilmabsorber. In einem großangelegten EU-Projekt „F3 Factory“ wurden die Vorgänge in diesem Apparat für industrierelevante Prozesse erforscht [8].

Effizient heizen & kühlen

Neben den angesprochenen Konzepten der funktionalen und apparativen Integra­tion, der Entwicklung von intelligenten ­Kolonneneinbauten und der Miniaturisierung von Anlagen kommt den im Prozess eingesetzten Wärmeübertragern und der Nutzung von viel versprechenden Wärme­integrationspo­tenzialen eine übergeordnete Rolle hinsichtlich der prozessbezogenen Energieeffizienz zu. Bei der Wärmeinte­gration handelt es sich um ein etabliertes und bereits seit den frühen 80er-Jahren bekanntes Verfah­ren, mit dem durch eine prozessinterne Verschaltung von kalten und heißen Strömen der externe Heiz- und Kühlmedienbedarf reduziert werden kann [9]. Wie weit man an das theoretisch ermittelte Minimum herankommt, ist jedoch auch eine Frage der grundsätzlichen Verfügbarkeit einer geeigneten apparativen Lösung für den konkreten Anwendungsfall, der Abwägung der Investitionskos­ten der Wärmeübertrager und der einge­sparten Betriebskos­ten der Utilities oder auch der regelungs-technischen Komplexität.


Abb.1 Trennwandkolonne: Gesamtdarstellung (a) und geteilter
Mittelabschnitt (b): Schema (oben) und Foto inkl. Flüssigkeitsverteiler der Firma Julius Montz GmbH (unten)


Abb.2 Mikrodesorber von der Bayer Technology Services GmbH ([7], a) und ein Mikrofallfilmabsorber vom Institut für Mikrotechnik Mainz (www.imm-mainz.de, b)

Unser Lehrstuhl befasst sich ­experimentell und theoretisch mit der Untersuchung von neuartigen Wärmeübertragertypen wie Thermoblechwärmeübertragern (TBWÜ) und Spiralwärmeübertragern, die für einen Einsatz mit gekoppeltem Wärme- und Stofftransport vorgesehen sind. TBWÜ bestehen aus jeweils zwei Blechen, die über ein Schweißpunktraster und seitliche Rollnähte miteinander verbunden werden. Der Raum zwischen beiden Blechen wird durch hydraulisches Einpressen eines Mediums über die Zu- und Ableitungen aufgeweitet. Diese Apparate werden zu ­Paketen zusammengefügt und können beispielsweise als Kopf­kondensatoren in Rektifika­tions­kolonnen eingesetzt werden. Sie bieten gegenüber konven­tionellen Wärmeübertragern mehrere Vorteile wie eine kompakte Bauweise und geringes Gewicht, was u.a. den Anforderungen an das Fundament von Rektifikationskolonnen zugutekommt. Weitere wichtige Eigen­schaften der TBWÜ sind ein gutes Wärmeübertragungsverhal­ten und geringe Druckverluste durch den direkten Einbau in den Kopf der Kolonnen ohne Brüdenleitungen.

Neuartige und bislang wenig untersuchte Apparatetypen wie die TBWÜ bergen jedoch trotz aller potenziellen Vorteile ein Risiko für den Anwender, da bereits kurze Produktionsausfälle zu massiven Kosten führen und in jedem Fall vermieden werden müssen. Durch umfangreiche Untersuchungen trägt unser Lehrstuhl dazu bei, diese Implementierungshemmnisse zu überwinden, den möglichen Anwendern eine Entscheidung zugunsten neuartiger Apparatetypen zu erleichtern und damit letzten Endes die prozessbezogene Energieeffizienz nachhaltig zu steigern.

Ausblick

Wichtige Zielsetzung der aktuellen Forschungsaktivitäten ist die Energiereduktion durch Optimierung energieaufwändi­ger Verfahren und Apparate. Unter dem Motto Prozessintensivierung sucht unser Lehrstuhl mit multilateralen Ansätzen nach Lösungen: U.a. gilt es, mehrere Verfahrensschritte in eine Einheit intelligent zu integrieren (reaktive Trennverfahren, DWC), die Effizienz eines einzelnen Verfahrens durch signifikante Verkleinerung der Apparatestruktur zu steigern (Mikroverfahrenstechnik) und innovative, hocheffiziente Wärmeübertrager zu entwickeln.

Literatur beim Autor.

Foto: © istockphoto.com|Andrzej Burak

C&M 3 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe C&M 3 / 2012.
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