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Sicherheit in explosionsgefährdeter Umgebung

Bevor es knallt

Eine Gefahr durch eine zufällig ausgelöste Explosion tritt nicht nur in Dynamitfabriken oder unter Tage auf, vielmehr besteht diese Gefahr in der ganz alltäglichen Umgebung und vermehrt in den großen ­Produktionsanlagen der chemischen, pharmazeutischen und Petrochemie.

In allen diesen Umgebungen muss es eine Technologie geben, die zuverlässig ausschließt, dass es zur Explosion kommen kann. Ein Gedankenspaziergang durch die normal erscheinende Umgebung kann zeigen, welche Gefahren hier zu einer Explosion führen können.

Gefährdung im Alltag …

Die erste Station ist eine Tankstelle. Kraftstoffdämpfe sind entzündliche Gase. Warum kommt es hier nicht zu Explosionen? Auch wenn häufig bei Tankstellen Warnhinweise wie „Rauchen verboten“ oder „offenes Feuer verboten“ angebracht sind, so ist der Umgang mit diesen Verboten in der Regel ausgesprochen lax. Die Tankstellenbesitzer müssen also gewährleisten, dass die Konzentration der Kraftstoffdämpfe in der Luft niemals so hoch wird, dass es zu einem entzündungsfähigen Gemisch kommen kann. Dies ist der Grund, warum Tankstellen nicht in Hallen unter­gebracht sind, sondern immer im Freien. Durch die Durchlüftung werden die Dämpfe verdünnt. Das Gemisch ist zu mager und es kommt nicht zur Explosion. Doch wie sieht es damit in ­einer Kläranlage aus?

… durch natürlich ­vorkommende Gase

In üblichen Kläranlagen ist es vollkommen normal, auf ein Gerüst oberhalb des Faulturms zu steigen. So besichtigte einer der Autoren einmal die Kläranlage Weinheim zusammen mit deren Betriebsleiter. Beide fuhren mit einem Industriepartner im Aufzug nach oben und inspizierten über den Gitterrost die zu diesem Zeitpunkt ­arbeitenden Schlammtaucher. Plötzlich klingelte ein Handy. Diese Situation machte den Betriebsleiter wütend, denn sie war gefährlich. Oberhalb von Faultürmen können sich Methangase anreichern, die in den Faultürmen entstehen. Ein Handy kann durchaus einen Zündfunken erzeugen. Wie sich aus dieser vollkommen normalen Arbeitssitu­ation ersehen lässt, muss man sehr darauf achten, gefährliche Situationen, die in ­irgendeiner Weise zur Zündung von Gasen führen können, zu vermeiden.

… beim Backen

Eine weitere, inzwischen in der Presse ­bekannte potenzielle Zündquelle sind Nahrungsmittelstäube, z. B. Mehlstaubexplo­sionen. In Bäckereien, in Mühlen und ­anderen nahrungsmittelerzeugenden Produktionsstätten sind inzwischen die Vorschriften für Explosionsschutz durch Staubexplosionen einzuhalten. Verwirbelt Staub und verteilt sich in der umgebenden Luft, entsteht eine sehr große reaktionsfähige Oberfläche, die in ihrem Verhalten einem Gas – Luft – Gemisch sehr ähnelt.

… durch den letzten Funken

Die Produktionsbereiche sind unterschiedlich gefährdet. Als Beispiel dient eine ­Lagerhalle, angrenzend an eine Chemieproduktion. Damit werden nun drei Zonen defi­niert, die in unterschiedlicher Wertigkeit oder Gefahr im Hinblick auf Explo­sionen existieren. Im Inneren von Chemiereaktoren herrscht normalerweise immer eine explosionsgefährdete Umgebung. ­

Direkt um die Reaktoren ist dies eher selten der Fall, in den angrenzenden Räumen noch einmal seltener. Diese drei Zonen werden in der europäischen Norm, die den Explosionsschutz regelt, der ATEX (ATmos­phere ­Explosible), als Zone null, eins und zwei definiert, wobei die Zone null die höchste Gefährdungsklasse darstellt, den Reaktorraum und die Zone zwei, der ­angrenzende Lagerraum, die niedrigste. ­Betrachtet man einen Lichtschalter, wirkt dieser harmlos. Tatsächlich ist er jedoch sehr gefährlich. Der Trennungsfunke beim Ausschalten des Lichtes ist zu nahezu 100% eine zuverlässige Zündquelle. Sie muss auf jeden Fall in explosionsgefährdeten Bereichen vermieden werden.

Ebenso kritisch ist eine normale Steckdose zu betrachten. Nicht anders ist es mit Lichtquellen, Motoren und jedem handelsüblichen Haushaltsgerät, sie alle stellen eine Zündquelle dar. Um sicherzugehen, sind in der Norm EN 60079 die Anwendungen elektrischer Betriebsmittel für explosionsgefährdete ­Bereiche definiert und nachzulesen.


Abb.1 Außen am Gehäuse angebrachtes Steuergerät FS870S der
Fa. Gönnheimer, regelt den Innendruck des Edelstahlgehäuses mit der
Schutzart Ex-p Überdrückkapselung.


Abb.2 Beispiel einer Zündkapselung basierend auf kombinatorischem Explosionsschutz mit ­Ex-q, Ex-i, Ex-e.

Gefahrenvermeidung

In unterschiedlicher Weise wurden über die Jahre Lösungen geschaffen, um trotz der Gefahren dennoch eine sichere ­Arbeitsweise in explosionsgefährdeten Bereichen zu ermöglichen. Die angewandten Technologien unterscheiden sich in ihrer Strategie und sind in Ex-Schutz-Arten klassiert. Die Schutzarten unterscheiden sich in ihrer Komplexität und der grundlegenden Idee ihrer Ausführung und Anwendung. Die Beschränkung der Maximalenergie drückt sich in der Ex-Schutz-Art/Ex-i Eigensicherheit aus. Der Zulassungsaufwand für ein solches Gerät ist enorm. Jeder einzelne Widerstand, überhaupt jedes elektronische Bauteil, muss gesondert betrachtet und hinsichtlich der Ex-Schutzfähigkeit dokumentiert sein. Die maximal auftretenden Ströme und Spannungen müssen derart geregelt sein, dass die Sicherheit trotz Ausfall eines beliebigen elektrischen Teils immer noch gewährleistet ist.

Ex-Schutz-Geräte sind jedoch sehr teuer. Durch den Mehraufwand bei der nötigen Dokumentation ­erhöht sich die Betriebssicherheit der einzelnen elektronischen Komponenten. Sollte eine Eigensicherheit der elektrischen Bauteile nicht machbar sein, können die Komponenten stattdessen vergossen und damit sicher von der Umwelt abgeschlossen werden. Diese Schutzmaßnahme namens Ex-m-Vergusskapselung verhindert, dass aus dem elektrischen Bauteil ein möglicher Zündfunke Kontakt mit einem explosionsfähigen Gemisch hat. Die Vergussmasse muss formschlüssig jedes elektronische Bauteil umschließen; interne Lunker dürfen nicht auftreten.

Sollte es knallen

Sollte es gewollt zu einer Explosion kommen, kann die Schutzart druckfeste Kapselung zum Einsatz kommen – Ex-d. Die Philosophie dabei basiert auf extrem stabilen Gehäusen, die unter keinen Umständen zu einer Undichte führen. Explodiert der gekapselte Raum, gelangt nichts nach außen. Dabei wird das druckgekapselte Gerät zwar zerstört, außerhalb passiert nichts. Wegen der notwendigen Stabilität werden diese Gehäuse relativ schnell schwer. ­Damit ist eine Größenlimitierung dieser ­Ex-Schutzart gegeben. Benötigt man dagegen größere Geräte, z. B. Messgeräte, gibt es die Ex-Schutzart Überdruckkapselung Ex-p (Abb. 1). Die Philosophie hierbei lautet, einen Raum innerhalb der explosionsgefährdeten Bereiche so abzugrenzen, dass in diesem Raum garantiert keine explo­sionsgefährdete Atmosphäre auftreten kann. Der Raum wird dabei unter Überdruck gesetzt.

Die nicht Ex-zugelassenen Geräte sind im Inneren aufgestellt und über geprüfte Verbindungen mit der ­Außenwelt verbunden. Der Raum wird ­geschlossen und mit Inertgasen so häufig gespült, dass garantiert keine Lösungsmitteldämpfe in zündfähiger Form im Inneren der Kapselung vorhanden sind. Der Raum wird weiter unter Überdruck von mindestens 0,8 mbar gehalten. Somit kann kein explosives Gas von außen nach innen dringen. Erst wenn alle Sicherheitsauflagen erfüllt sind, können die gekapselten Geräte verwendet werden. Die Limitierung von Ex-p-Systemen resultiert aus dem Überdruck beim Spülvorgang. Bisherige Systeme arbeiten beim Spülen mit 15–20mbar. Es gilt zu bedenken, dass 20 mbar auf einer Fläche von 1m2 einer Gewichtskraft von 200kg entsprechen. Damit werden bei großen Gehäusen enorme Wandstärken benötigt.

Weiterentwicklung

In jüngster Zeit gibt es jedoch eine wesentliche Weiterentwicklung. Der Weltrekord in diesen Ex-p-Systemen wird aktuell von ­einer deutschen Firma gehalten. Die Anlagen können schon bei 2–3mbar Normalbetriebsdruck gespült werden. Um diesen niedrigen Überdruck in allen Situationen sicher zu gewährleisten, musste eine vollkommen neue Technik geschaffen werden. Diese wurde mit Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums entwickelt. Im Vergleich zu bisherigen Systemen wurden der Spülquerschnitt vergrößert und die ­Sicherheitsventilquerschnitte verkleinert.Auch diese Entwicklung hilft mit, trotz steigender Sicherheitsbedürfnisse das Arbeitsleben im Ex-Bereich zu sichern und einfacher zu gestalten.

Die Mischung macht`s

Bei allen Ex-Systemen kommt es meistens zu einer Mischung verschiedener Schutzklassen, z.B. Eigensicher kombiniert mit Vergusskapselung, kombiniert mit Überdruckkapselung usw. (Abb. 2). Aber was hilft die beste Schutzmaßnahme, wenn sie nicht eingehalten wird. Ist eine Voraussicht für mögliche Gefahrenquellen zusammen mit der richtigen Handhabung der Ex-­Systeme gegeben, entfalten erst dann die Schutzmaßnahmen ihr ganzes Potenzial.

Foto: © Fotolia

Stichwörter:
Dynamitfabriken, Produktionsanlage, Petrochemie, Zündquelle, Mehlstaubexplosion, ATEX, ATmosphere Explosible, Gefahrenvermeidung, Betriebssicherheit, Schutzmaßnahmen, Ex-Schutzart, Überdruckkapselung, FS870S,

C&M 4 / 2013

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe C&M 4 / 2013.
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