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Agentenbasierte Vernetzung zur Informationsgewinnung und Diagnose heterogener Produktions- systeme in der Lebensmittelproduktion

Agentenbasierte Vernetzung zur Informationsgewinnung und Diagnose heterogener Produktions- systeme in der Lebensmittelproduktion

Wunschjoghurt á la ­Industrie 4.0

Die wachsende Nachfrage von industriell hergestellten, kundenindivi- duellen Produkten sowie sich ­immer schneller verändernde Situationen auf globalen Märkten führen zu steigenden Anforderungen an die Flexibilität industrieller Produk­tionsanlagen. Für eine zukunftsorientierte Aus­legung von ­automatisierten Produktionsanlagen müssen Architekturen und Automatisierungs­systeme entwickelt werden, die Konzepte für ­kürzere Zyklen im Re-Engineering unterstützen, um so die Wandelbarkeit der Anlagen hinsichtlich der veränderten Marktbedingungen zu ermöglichen.

Agentenorientierte Ansätze ermöglichen die flexible Aggregation von Informationen aus dem Anlagen- engineering und Prozessdaten der Produktions- anlagen mittels einer agentenbasierten Vernetzung heterogener Produktionssysteme in einem CPPS- Verbund. Der agentenorientierte Ansatz liefert damit einen wichtigen Beitrag zur Unterstützung von Diagnose- und Optimierungs- funktionen in zukünftigen automatisierten industriellen Produktionssystemen.

Der Anwendungsfall

Die Modellfabrik MyJoghurt stellt individuelle Joghurtmischungen her. Der Wunschjoghurt wird dazu vom Kunden im Internet auf einer Kunden­plattform zusammengestellt. Zur Produk­tion stehen verschiedene Produktions­ein­richtungen deutschlandweit bereit, um un­ter­schiedliche Joghurtmischungen zu pro­duzieren oder einzelne Produktionsschritte wie etwa das Gravieren von Deckeln oder Bereitstellung des Toppings zu übernehmen. Nachdem Marktstudien und Kundenanfragen ergeben ­haben, dass sich die Kunden nicht nur ­Joghurt mit dunklen Schokokugeln wünschen, sondern auch mit weißen Schokokugeln und Joghurt mit einer Mischung aus beidem, soll dies nun auch in der Produktionsanlage umgesetzt werden. Wenn die neue Leistung „Befüllen mit weißen Schokokugeln“ angefragt wird, kann die Produktionseinheit entscheiden, ob diese Funktion grade möglich ist und zu welchem Preis. Durch Vergleich der anbietenden Anlagen und deren Funktionen wird nach ausgewählten Kriterien wie Preis, Lieferzeitpunkt etc. die geeignete Anlage ausgewählt.

Der Vergleich der Eigenschaften erfolgt nach Merkmalen einer ­Ontologie, die die Fähigkeiten der Anlage beschreiben. Dazu ­müssen die Eigenschaften der weißen Schokokugeln wie Durchmesser, Schmelzpunkt und Viskosität mit denen der dunklen ­Schokokugeln übereinstimmen. Benötigen die weißen Schoko­kugeln einen anderen pneumatischen Druck bei der Vereinzelung oder weisen einen anderen Durchmesser auf, muss die Para­me­trierung geändert oder gar eine konstruktive Änderung der Kugelsortierungseinheit vorgenommen werden. Intelligente Produkte und Pro­duktionseinheiten sind in der Lage sich selbst zu über­wachen, können also ggf. Qualitätsschwankungen wie die Viskosität des Joghurts, Messfehler etc. selbst diagnostizieren und entsprechend entgegenwirken.


Abb.1 Architekturbeispiel für ein agentenbasiertes CPPS-Netzwerk [1].

Architekturmodell eines agentenbasierten CPPS-Netzwerks

Die an der TU München entwickelte agentenbasierte Architektur des CPPS-Netzwerks der Modellfabrik MyJoghurt basiert auf den im Rahmen der Studie der acatech für CPPS Netzwerke identifizierten Anforderungen.

Innerhalb der Plattform können einzelne Anlagen sowie Systeme der Zulieferer von Anlagenkomponenten als CPPS integriert werden. Die Anlagenteile können auf unterschiedlichen Steuerungen basieren, die nur über das Inter-/Intranet miteinander verbunden sind. Dies unterstützt besonders Migrationskonzepte hervorragend, weil die bestehenden Altanlagen in der installier­ten Weise bestehen bleiben können. Daher ist es auch jederzeit möglich, Anlagen an­derer, neuer Anbieter in die Modellfabrik MyJoghurt dynamisch einzubinden. Der Anlagenagent bildet dabei die Schnittstelle der (Teil-)Anlage zum CPPS-Netzwerk. Jede dieser CPPS ist virtuell durch einen Agenten repräsentiert. So werden die Sta­tionen zum Abfüllen von Schokoladen­kugeln durch ­einen Anlagenagenten vertreten, der die Fähigkeiten dieser Anlage kennt und bei Anfragen entscheiden kann. Herstelleragen­ten repräsentieren die Diag­nosesysteme von Komponentenzulieferern, wie Sensoren und Aktuatoren in denen die Daten verschiedener im Feld eingesetzter Komponenten gesammelt und für die Diag­nose im Fehlerfall herangezogen werden können. Anlagen­agenten können als Baustein einer agenten­basierten Steuerungssoftware des Produktions­systems selbst oder bei bestehenden Produktionssystemen mit konventionell programmierten Steuerungen mithilfe zusätzlicher Hardware im Sinne eines Gateways implementiert werden. Für ausgewählte Messwerte erlaubt die Verknüpfung zu den Diagnosesystemen von Komponentenherstellern durch das CPPS-Netzwerk den Anlagenagenten eine erweiterte Diagnose, die gemeinsam mit den Systemen des jeweiligen Komponentenherstellers durch­geführt werden kann. Selbstverständlich werden dazu nur Daten ausgetauscht, die die Technologie des Produktionsprozesses nicht preisgeben.

Kommunikation im agentenbasierten CPPS-Netzwerk

Für die Kommunikation innerhalb des CPPS-Netzwerks sind alle Anlagenagenten und Herstelleragenten über das Internet mit der Plattform und untereinander verbunden. Eine gemeinsame Sprache angelehnt an die standardisierte Agent Communication Language (ACL) ermöglicht Kommunikation und Interoperabilität zwischen Agenten und organisatorischen Einheiten des CPPS-Netzwerks. Die organisatorischen Einheiten der CPPS-Plattform umfassen ein Agent Ma­nage­ment System (AMS, Abb.1), ein Message-Transport- system (MTS) und einen Directory Facilitator (DF). Das AMS speichert die Namen und IP-Adressen der Agenten eines CPPS-Netzwerks. Der Directory Facilitator administriert ein Verzeichnis der Fähig­keiten einzelner Anlagen des Netz­werks und damit die zur Produktion verfügbaren Produktionsschritte. Das Message-Transport­system verwaltet ein Verzeichnis, das die Protokolle und Nachrichten zwischen den Agenten speichert und mit den einzelnen Produktionsaufträgen und Pro­zess­schritten verknüpft, für die sie benötigt werden.

Agentenbasierte Netzwerke auf Feldebene

Es wurden bereits Ansätze für agentenbasierte Implementierungen für Steuerungssoftware der Feldebene entwickelt. Diese versprechen noch höhere Flexibilität und Durchgängigkeit des agentenbasierten Entwurfs. Sie basieren auf dem Konzept der Implementierung von Softwareagenten in den Programmiersprachen der IEC 61131-3, die damit auf den speicherprogrammierbaren Steuerungen lauffähig sind. Wir haben dieses Konzept aufgegriffen und durch eine von uns entwickelte Beschreibung der Fäh­igkeiten bzw. Funktionalitäten von Kom­ponenten und charakteristischen Eigenschaften von Produkten mittels eines zu diesem Zweck entwickelten Profils der Unified Modeling Language (UML) erweitert. Diese Beschreibung ermöglicht es den Agenten, in Fehlersituationen oder beim Ein­treffen von Anfragen für die Produk­tion, die nicht von vorneherein vorgesehen waren, geeignete Strategien zur Fehlerbehebung oder zur Herstellung der angeforderten Produkte zu identifizieren und die Feldsteuerungssoftware dementsprechend zu rekonfigurieren. Damit wird gegenüber der In­tegration von Produktionsanlagen mit einer klassischen, statischen Implementierung der Steuerungssoftware in ein CPPS-Netzwerk eine höhere Flexibilität hinsichtlich Möglichkeiten zur Rekonfiguration des Produktionssystems erreicht.

Informationsaggregation und -aufbereitung für den Menschen

Augmented Reality ist seit vielen Jahren ein Thema, um den Menschen bei seiner Tätigkeit zu unterstützen, bzw. ihm zusätzliche Informationen zu seiner Tätigkeit zu übermitteln. Im Fall der Joghurtherstellung wird dem Monteur vor Ort die Lage der Geräte und die abrufbaren Prozessdatenverläufe z.B. des Temperaturverlaufs der Heizung auf dem smart device eingeblendet, sodass der Monteur alle verfügbaren Informationen der Steuerung, der Visualisierung sowie des Engineerings vor Ort abrufen kann.

Es wurde ein Konzept vorgestellt, das die Realisierung eines Netzwerks von CPPS ­basierend auf der Technologie der Softwareagenten unterstützt. Der Einsatz von Softwareagenten zur Realisierung erlaubt dabei die flexible Anbindung verschieden­er technisch und funktional heterogener Produktionsanlagen sowie auch die durchgängige Implementierung flexibler Software für eine Anlage bis herunter auf die Feldebene. Darüber hinaus stellen Softwareagenten ein geeignetes Mittel dar innerhalb eines CPPS automatisiert Informationen zu Diagnose- und Wartungszwecken zu gewinnen und auszuwerten.

Literatur
[1] Schütz, D., Göhner, P., Pech, S. und Vogel-Heuser, B., „Agentenbasierte Vernetzung zur Informationsgewinnung und Diagnose heterogener Produktionssysteme in CPPS“, In: SPS/IPC/Drives Kongress 2014, Nürnberg, 2014.

Bild: © istockphoto.com | LindaMarieB| rmfox
© panthermedia.net | Daniel Reiter

Stichwörter:
Wunschjoghurt, Re-Engineering, Architekturmodell, Architekturmodell, CPPS-Netzwerks, Steuerungssoftware, Interoperabilität, Informationsaggregation und -aufbereitung,

C&M 6 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe C&M 6 / 2014.
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