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Herausforderungen einer Welt im Wandel für die Chemie

Grüne Spuren

Nachhaltigkeit, Energie- und Rohstoffeffizienz sind die großen unternehmerischen Leitthemen weltweit vor dem Hintergrund einer wachsenden Weltbevölkerung. Eine besondere Bedeutung kommt hier dem Thema Mobilität zu. Die Entwicklung ­umweltfreundlicher, Kraftstoff sparender Fahrzeuge erfordert neben effizienten ­Motoren innovative Materialien. Reifen als eine der wichtigsten Bestandteile von ­Autos spielen eine zentrale Rolle für eine nachhaltige Mobilität, die auch die Politik mit Reifenlabels im Blick hat – so wird Ende ­dieses Jahres in der EU und in Südkorea eine Kennzeichnungspflicht von Reifen verpflichtend eingeführt. In den USA und ­Japan gelten Reifenlabel auf freiwilliger Basis.

chemie&more sprach mit dem Vorstandsvorsitzenden der Lanxess AG, Dr. Axel C. Heitmann, über den Beitrag der Chemie für eine Grüne Mobilität und nachhaltige Lösungen für die Zukunft.

chemie&more: Herr Dr. Heitmann, im Herbst dieses Jahres wird in der EU und in Südkorea ein neues Ökolabel für Reifen eingeführt (Verordnung 1222/2009 EG), das – ähnlich wie zuvor bereits für Elektrogeräte erfolgt – Reifen klassifi­ziert und dazu beitragen soll, die C02-Emis­sionen im Straßenverkehr zu senken. Was beinhaltet die neue Kennzeichnungspflicht und welche Bedeutung hat sie für Ihr Unternehmen?

Dr. Axel C. Heitmann: Die Bedeutung ist immens – für die Umwelt, aber auch für Lanxess. Grundsätzlich führt die EU das Reifenlabel ein, um den Absatz umweltfreundlicher Reifen zu fördern. Es geht um mehr Transparenz für den Verbraucher. Das begrüßen wir. Der Reifen wird zukünftig in puncto Kraftstoffverbrauch, Nasshaftung und Rollgeräusch in Güteklassen eingeteilt. So wie Verbraucher das beispielsweise vom Kauf eines Kühlschranks kennen. Der Käufer eines Reifens kann zukünftig also zum Beispiel besonders sparsame Produkte von Produkten unterscheiden, die die Umwelt stärker beeinträchtigen. Das wird dem Absatz von „Grünen Reifen“ einen deutlichen Schub geben. Lanxess wird als weltweit führender Anbieter von synthetischem Kautschuk von dieser steigenden Nachfrage nach „Grünen Reifen“ profitieren. Denn mit unseren Hightechkautschuken machen wir „Grüne Reifen“ ja überhaupt erst möglich.

Die Gesamtemissionen eines Autos rühren bis zu 25% vom Reifen und seiner Beschaffenheit her. In Zukunft wird also die Qualität eines Reifens für den Verbraucher sichtbar, sodass er beim Kauf direkt erkennen kann, wie „grün“ seine Reifen sind. Was muss ein Grüner Reifen können?

Er muss vor allem Sprit sparen helfen. Fast 90% der gesamten Umweltbelastungen eines Reifens entstehen während der Nutzung. Dabei sind rund 10% auf Verschleiß und Reifenabrieb zurückzuführen. Der weitaus größte Teil – nämlich knapp 80% – entfällt allerdings auf den Kraftstoffverbrauch. Hier liegt also das größte Potenzial für Einsparungen. Allein durch eine Verringerung des Rollwiderstands um 30% können ein halber Liter Kraftstoff und rund 1,2kg CO2 auf 100 Kilometer eingespart werden – bei gleichzeitig steigender Lebensdauer des Reifens und erhöhter Sicherheit. Auf „Grüne Reifen“ zu setzen, zahlt sich also aus.

Nicht sichtbar ist die Chemie, die im Produkt steckt. Was leistet Lanxess hier und inwiefern trägt es zur Entwicklung des Reifenmarktes bei?

Wir ermöglichen eine nachhaltigere Mobilität, weil unsere Kautschuke den Rollwiderstand moderner Reifen senken – wie gesagt: bei gleichzeitig steigender Sicherheit und Lebensdauer. Aktuelle Produkte sind beim Rollwiderstand bereits rund 20% besser als die Vorgängergeneration. Speziell über die Kombination von neuartigen Styrol-Butadien-Kautschuken über Silane sowie Neodym-Polybutadien-Kautschuk – kurz Nd-BR – können weitere Verbesserungen erreicht werden. Zudem werden neue Nd-BR-Kautschuke helfen, den Rollwiderstand von Reifen weiter substanziell zu verbessern.

Das Thema „Grüne Mobilität“ steht in diesem Jahr in Ihrem strategischen Fokus und damit die Kompetenz des Unternehmens im Bereich Hochleistungskautschuk. Es existiert die interessante Konstellation, dass ein ge­rade einmal acht Jahre junges Unternehmen über ein mehr als 100 Jahre altes Knowhow verfügt – können Sie uns das erklären?

Die Expertise von Lanxess bei Kautschuk geht zurück auf eine Entdeckung des Chemikers Fritz Hofmann. Der Professor, der seinerzeit bei den „Elberfelder Farbenfabri­ken vorm. Friedrich Bayer & Co.“ arbeitete, erhielt vor mehr als 100 Jahren das Patent auf synthetischen Kautschuk. Das Erbe von Fritz Hofmann führen wir bei Lanxess ­heute erfolgreich fort. Wir haben weit über 100 Synthesekautschuktypen für die unterschiedlichen Verwendungszwecke im Programm. Der Technologie- und Wissensvorsprung aus der über 100-jährigen Erfahrung mit dem Gummiwerkstoff ermöglicht es uns, heute die Rohstoffe für die Reifen von morgen zu liefern.

Was beeindruckt Sie als Chemiker am meis­ten an der Erfindung Hofmanns und was macht diesen Werkstoff noch heute so interessant.

Hofmann war ein genialer Wissenschaftler. Er machte eine bedeutende Entdeckung und verfolgte diese hartnäckig. Diese Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit, aber auch sein enormer Einfallsreichtum – das alles sind imponierende Charakterzüge. Schließlich hat er mit all dem auch unsere heutige Welt verändert. Denn ohne seine Entdeckung wäre die moderne Mobilität schlichtweg undenkbar.

Das Streben nach Mobilität ist heute genau so bedeutend wie zu Beginn des industriellen Zeitalters und Motor für Forschung und Entwicklung – inwiefern hängt Kautschuk damit zusammen?

Ganz wesentlich sogar. Der Rohstoff hat in den vergangenen Jahrzehnten bereits eine rasante Entwicklung durchgemacht. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Alleine in den ersten sechs Jahren nach unserer Unterneh­mensgründung haben wir 600 Kautschukpatente entwickelt. Die Faszination dieses Werkstoffes liegt für mich in seiner Einmaligkeit. Die Gummielastizität ist ein einzigartiges Prinzip in der Naturwissenschaft. Das kennt man weder bei metallischen Werkstoffen noch bei anderen.

Sie haben bereits mehrere hundert Synthese­kautschuktypen für unterschiedliche Anwendungsfelder im Portfolio und sind Entwicklungsmotor der Branche. Welche sind darunter die bedeutendsten?

Derzeit sind sicherlich die Produkte besonders hervorzuheben, die eine besondere Bedeutung bezüglich der Megatrends Wasser, Landwirtschaft, Urbanisierung und ­Mobilität haben. Mobilität ist insgesamt – nicht nur im Einführungsjahr des EU-­Reifenlabelings – natürlich das wichtigste Anwendungsfeld. In einem modernen Hochleistungsreifen werden heute bis zu 20 verschiedene Gummimischungen verarbeitet. Die meisten Mischungen basieren auf synthetischem Kautschuk. Die wichtigsten Kautschuke für unsere Kunden, die mit ­ihren Reifen auf dem neuen Reifenlabel Bestnoten erreichen wollen, sind NdBR und SSBR. Nur mit diesen Produkten sind ausgewogene Eigenschaften in puncto Energieeffizienz und Sicherheit zu erreichen. Synthetischer Kautschuk ist aber auch unter der Motorhaube unabdingbar. Er sorgt beispielsweise dafür, dass Schlauchleitungen und Antriebsriemen eine lange Lebensdauer haben – und zwar auch unter extremen Bedingungen.

Neben den kraftstoffverbrauchenden Reifen sind es Leichtbaukonzepte, mit denen eine ressourcenschonende, umweltfreundliche Mobilität ermöglicht wird. Welche Material­technologien bietet Ihr Unternehmen hier als Alternative zu Metallen und wie werden sie eingesetzt?

Kunststoffe ersetzen immer häufiger Metalle. Schon heute stecken in jedem Auto knapp 20% Kunststoffe – Tendenz steigend. Durch die Metallsubstitution kann aber nicht nur Gewicht eingespart werden. Gleichzeitig steigen auch das Sicherheits- und Komfortniveau. Weiterhin lassen sich auch immer mehr Funktionen in ein Bauteil integrieren. Die Vorteile sind also immens. Schon vor einigen Jahren haben wir die Hybridtechnologie erfunden, mit der sich Kunststoff und Metall auf einzigartige Weise verbinden lassen. Diese Kunststoff-Metall-Verbundtechnologie kombiniert die Stärken von Kunststoff auf der einen Seite mit Metallen wie Stahlblech oder Aluminium auf der ­anderen Seite – und zwar in einem Bauteil. Sie ermöglicht die Umsetzung von konstruktiven Geometrien, die mit einem Werkstoff allein nicht möglich sind. Daneben arbeiten wir seit einiger Zeit auch daran, neben Stahlblech und Aluminium nun auch so genannte Organobleche einzusetzen, die aus speziellen Glasfasergeweben bestehen. Im Frontend des Audi A8 kommt neben Aluminiumblech bereits ein solches leichtes Organoblech in Form eines 1,0 Millimeter dünnen U-Profils zum Einsatz. Daraus resultiert im Vergleich zu einem Einleger aus Aluminium eine Gewichtseinsparung von 20%.

Ein weiterer Schwerpunkt Ihrer Entwicklungsarbeit sind biobasierte Werkstoffe als Alternative zu fossilen Ausgangsmaterialien. Hier haben Sie beispielsweise eine Entwick­lungskooperation mit dem US-amerikani­schen Biotechnologieunternehmen GevoTM. Welche Erfolge können Sie bisher verzeichnen?

Das stimmt – wir setzen gezielt auch auf die biobasierte Chemie. Unser Ansatzpunkt ist, herkömmliche Rohstoffe, die auf Erdölderivaten basieren, durch Rohstoffe zu ersetzen, die auf nachwachsenden Rohstoffen beruhen. Dazu setzen wir auch auf neue Kooperationen. So ist Lanxess an dem US-amerikanischen Biokraftstoff- und Biochemiehersteller Gevo beteiligt. Wir arbeiten gemeinsam daran, Isobuten aus nachwachs­enden Rohstoffen herzustellen. Isobuten wird heutzutage üblicherweise in Steamcrackern produziert, die Erdölderivate als Rohmaterial benutzen. Als Alternative dazu entwickelt Gevo ein Fermentierungsverfahren, in dem nun Mais-Biomasse zur ­Herstellung der organischen Verbindung ­Isobutanol eingesetzt wird. Gleichzeitig treiben wir bei Lanxess einen De-Hydratisierungsprozess voran, um das gewonnene Isobutanol in Isobuten umzuwandeln. Dieser von uns entwickelte De-Hydratisierungs­prozess hat nach erfolgreichen Labortests schon über längere Zeit hinweg in einer kleinen Anlage in Leverkusen seine Funktionstüchtigkeit bewiesen. Tests haben gezeigt, dass der Prozess Butyl-Kautschuk auf biologischer Basis liefert, der die hohen Anforderungen der Reifenindustrie erfüllt. Der Erfolg in der Praxis ist also bereits da!

Sie setzen stark auf die Automobilindustrie, etwas 40% der Umsätze von Lanxess stammen aus dieser Branche. Ist diese Abhängigkeit von der Autokonjunktur nicht auch ein riskanter Faktor für die Unternehmensentwicklung?

Nein, das sehen wir ganz und gar nicht. Der Megatrend Mobilität ist vielmehr ein relativ krisensicheres Arbeitsgebiet. Weltweit wächst die Bedeutung der Mobilität und sie wird technologisch immer anspruchsvoller. Es gibt also genug zu tun. Vor allem muss es darum gehen, in Zukunft noch viel schonender mit den eingesetzten Ressourcen umzugehen. Unsere neuen Kautschukprodukte können dazu einen Beitrag leisten. Das gilt auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir in den kommenden Jahren weltweit die Einführung ähnlicher Reifennormen wie jetzt in der EU erleben werden. Auch das wird dem Markt zusätzlich Schwung verleihen. Wir rechnen damit, dass der Anteil von „Grünen Reifen“ an der weltweiten Gesamtproduktion bis 2015 – verglichen mit 2010 – um rund 80% zunehmen wird. Und nur am Rande: Unsere Hochleistungskaut­schuke stecken auch in neuen Reifen für gebrauchte Fahrzeuge. Wir verdienen also auch am Ersatzgeschäft. Und da der Reifenmarkt zu etwa 70% aus dem Ersatzreifenmarkt besteht und nur zu etwa 30% vom Neufahrzeugmarkt abhängig ist, unterschei­den wir auch deutlich Umsätze mit der ­Automobilindustrie bzw. mit der Reifen­industrie, die weit weniger zyklisch ist.

Welche Rolle spielen Kooperationen mit Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus für Innovationsstrategien?

Wir sind jederzeit für Kooperationen offen, wenn sie für uns Sinn machen. Sie können sicher sein, dass wir den Markt sehr genau beobachten.

Ihr Unternehmen ist auf einem beeindruckenden Erfolgskurs – mit den im März vorgestellten Zahlen wurde das Rekordergebnis von 2011 nochmals übertroffen. Aus welchen Bereichen resultiert das Ergebnis und wie wollen Sie weiterwachsen?

Unsere guten Zahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr sind das Resultat unserer klaren strategischen Fokussierung auf Technologie, Innovation und Nachhaltigkeit. Zudem konzentrieren wir uns konsequent auf die bedeutendsten Megatrends und auf die weltweit wichtigsten Wachstumsmärkte. 2011 ist es uns gelungen, den Umsatz in allen Absatzregionen prozentual zweistellig zu steigern. Dieser Erfolg auf den Wachstumsmärkten spiegelt in besonderer Weise die dortige Entwicklung rund um den Megatrend Mobilität wider. Die Bedeutung dieses Bereichs nimmt beständig zu und führt bei Lanxess zu steigender Nachfrage. Vor allem für die Autoindustrie und für Reifenhersteller sind unsere Hochleistungskautschuke und Hightechkunststoffe essenziell, wenn es darum geht, mehr Nachhaltigkeit auf die Straße zu bringen. Im Geschäftsjahr 2011 erzielten wir mit Produkten, die eine nachhaltige Mobilität ermöglichen, bereits einen Umsatz von rund 1,5 Milliarden Euro, also knapp 20 Prozent unseres Gesamtumsatzes. Bis zum Jahr 2015 wollen wir dieses Volumen um rund 80% auf 2,7 Milliarden Euro steigern. Wir sind also auf einem hervorragenden Weg.

Herr Dr. Heitmann, herzlichen Dank für das Gespräch.

(Interview: Claudia Schiller)

Foto: © istockphoto.com| Pablo Demetrio Scapinachis Armstrong

Stichwörter:
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C&M 3 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe C&M 3 / 2012.
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