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Keine Zwischenfälle trotz Explosionsgefahr und gefährlicher Stoffe

Auf Nummer Sicher gehen!

Die Sicherheit hat in der Prozesstechnik einen ­hohen Stellenwert. Zum einen ist die Arbeitssicherheit für die Mitarbeiter und die Vermeidung der Kontamination der Umwelt zu gewährleisten, zum anderen können durch Zwischenfälle erhebliche Schäden entstehen. Offensichtlich sind zum Beispiel Schäden an Anlagen, z.B. nach einer Explosion. Nicht zu unterschätzen ist aber auch der finanzielle Schaden, der durch Stillstand einer Produk­tionslinie entstehen kann. Nichtberücksichtigung sicherheitstechnischer Aspekte kann sich also in vielerlei Hinsicht negativ auswirken. Aus ­diesem Grund geben Gesetzgeber auf verschiedenen ­Ebenen hier Richtlinien und Verordnungen vor.

chemie&more war im Gespräch mit Prof. Dr. rer. nat. Tammo Redeker vom IBExU Institut für Sicherheitstechnik GmbH, ein An-Institut der TU Bergakademie Freiberg, über aktuelle Forschungs- themen zum Explosionsschutz, Herausforderungen in der Prozesstechnik und ­gesetzliche Bestimmungen.

chemie&more: Herr Prof. Redeker, erzählen sie uns doch kurz, woher das IBExU Institut kommt und woran zurzeit geforscht wird? Was sind Fragestellungen, die zum Port­folio ihres Forschungsspektrums gehören?

Prof. Dr. Redeker: Für die Leser ein paar erklärende Worte zur Historie und zu den Aufgaben unseres Institutes. Unser Institut wurde in den 1920iger-Jahren als Hochschulinstitut der Technischen Bergakademie Freiberg gegründet und wurde nach der Teilung Deutschlands das staatshoheitsrechtliche Institut der DDR für das ­zivile Sprengwesen, den Brand- und Explo­sionsschutz für Bergbau und übrige Industrie. Nach der Wende wurde das Institut in die Forschungs-GmbH IBExU (siehe www.ibexu.de) überführt. Wir sind nach Richt­linie 94/9/EG für den gesamten Explo­sionsschutz (Bergbau und Industrie) akkreditiert und ebenso nach IECEx. Wir sind heute wieder ein An-­Institut der Technischen Univer­sität Bergakademie Freiberg.

IBExU verfügt u. a. über Laboratorien zur Ermittlung aller physikalisch-sicherheitstechnischen Kenn­größen, über eine Explosions versuchsrohrstrecke, über einen Explosionsbunker von 300 m3 und über ein Explo­sions-Versuchsaußengelände von über 7 ha sowie über zahlreiche Equipments zur Prüfung elektrischer Geräte.

Zurzeit forschen wir an fluorierten Polyehter-Schmierölen. Diese Öle werden als Schmieröl u. a. in Hochvakuumpumpen eingesetzt, weil sie chemisch außer- ordentlich resistent sind. Im Hochvakuum hat es bei Betriebsstörungen mit diesen Ölen „explosionsartige Zerfallsreaktionen“ gegeben, bei denen Druckwirkungen von mehr als 40 bar aufgetreten sind. Wir haben herausgefunden, dass bei einer „punktförmigen Energieeinkopplung“ in das Öl auch bei Raumtemperatur unter bestimmten Voraussetzungen ein katalytisch unterstützter spontaner Zerfall eintreten kann. Wir werden über die Ergebnisse auf der 11. Fachtagung Anlagen-, Arbeits- und Umwelt­sicherheit in Köthen am 7./8. November 2013 berichten.

Des Weiteren untersuchen wir im elektrischen Explosionsschutz an Li-Ionenbatterien, welche Explosionswirkungen bei erzwungenem Kurzschluss möglich sind und mit welchen Maßnahmen derartige Auswirkungen minimiert oder sogar verhindert werden können.

Für unser Institut bleibt eine aktuelle Fragestellung, wie sich in Zukunft in Europa der gesetzlich geregelte Explosionsschutz gegenüber dem international dazu unterschiedlich gehandhabten Explosionsschutz entwickeln wird und wie in Europa zukünftig unter den Benannten Stellen (Notified Body) ein halbwegs vergleichbares Leistungsniveau sichergestellt wird.

Wir möchten gerne die Prozesskette in der Chemie- und Pharmaindustrie beleuchten. Welche Gefahrenpotenziale im Bereich Ex-Schutz gibt es? Können Sie ein Konzept schildern, damit umzugehen?

In chemischen und pharmazeutischen Verfahrensanlagen, in denen mit brennbaren Stoffen (Gase, Flüssigkeiten und Stäube) umgegangen wird, gelten grundsätzlich ­bezüglich der Vermeidung von Explosionsgefahren die gleichen Grundsätze. Sie richten sich nach den gesetzlichen Vorgaben:

// für die Hersteller von Geräten und Schutzsystemen nach Richtlinie 94/9/EG und

// für den Arbeitgeber bezüglich der innerbetrieblichen Organisation des Explosionsschutzes zum Schutz der Arbeitnehmer nach der Betriebs- sicherheitsverodnung, die auf der Richtlinie 99/92/EG basiert.

Für die pharmazeutischen Betriebe kommt bei der Realisierung des Explosionsschutzes gegenüber den chemischen Betrieben manchmal erschwerend hinzu, dass „Reinst­raumbedingungen“ einzuhalten sind.

Zum Prozesshandling: Gibt es eine Klassi­fizierung von Gefahrenstoffen? Bei welchen Stoffen besteht höhere Gefahr als bei anderen?

Für den Explosionsschutz gibt es eine klare und eindeutige Klassifizierung des Gefahrenpotenzials für die zur Anwendung kommenden Stoffe. Bei den brennbaren Gasen und Dämpfen werden die Stoffe bezüglich ihrer zunehmenden Explosionsgefährlichkeit in die Explosionsgruppen I, IIA bis IIC entsprechend der Maximum Experimental Safe Gap (M.E.S.G.) eingestuft, bei den Stäuben in die Staubexplosionsklassen St 1 bis St 3 entsprechend des KSt-Wertes. Bei den Gasen und Dämpfen ist z. B. Methan, Ex-Gruppe I, der explosionsschwächste und Wasserstoff, Ex-Gruppe IIC, der explosionsgefährlichste Stoff. Bei den Stäuben wäre z. B. ein Aluminiumstaub der Staubexplosionsklasse ST 3 ein sehr gefährlicher Staub. In das gesamte Prozesshandling ist natürlich neben der Explosionsgefahr auch die Gefahr der Toxizität der Stoffe einzu­beziehen.

Welche Möglichkeiten gibt es , Sicherheit in der Entwicklung, Instandhaltung und ­Prüfung einzuhalten? Wie ist dafür die Vorgehensweise?

Um eine hohe Sicherheit in der Entwicklung, Instandhaltung und Prüfung von verfahrenstechnischen Anlagen zu realisieren, ist es erforderlich, die zutreffenden gesetzlichen Bestimmungen und Verordnungen zu kennen und einzuhalten und den zutreffenden Normungsstand zu verfolgen und ggf. in den Normungsgremien mitzuarbeiten. Sehr wichtig aus meiner Erfahrung ist ein gut geschultes Personal. Das Personal muss wissen, was es tut; es muss die Gefahrenpotenziale kennen und wissen, was es in kritischen Situationen zu tun hat. Bei der Vielzahl meiner Untersuchungen an Explosionsunfällen hat zu über 90% menschliches Fehlverhalten mit zur Unglücksursache beigetragen.

Wie werden die Aspekte Lagerung, Verpackung und Transport in den Gesamt­prozess sicherheitstechnisch integriert?

Die Lagerungs-, Verpackungs- und Transportvorschriften sind nach nationalem Recht und international nach UN-Recht geregelt. Sie sind in die sicherheitstechnischen Prozessablaufketten uneingeschränkt mit einzubeziehen.

Können Sie kurz erklären worum es sich bei Safety Integrity Level (SIS) handelt? W­ofür ist es wichtig, welche Vorteile bringt es?

Es gibt Prozesse, bei deren Ausführung ein Risiko für Personen, die Umwelt und Sachwerte besteht, das über dem allgemein tolerierten Risiko liegt.

Solche Prozesse machen auch die Anwendung von elektrischen und elektronisch gesteuerten Sicherheitseinrichtungen erforderlich, die den Prozess beobachten und erforderlichenfalls eingreifen, um den Prozess in einem sicheren Zustand zu halten.

An die Versagenswahrscheinlichkeit derartiger Sicherheitseinrichtungen werden quantitative Anforderungen gestellt, die nachzuweisen sind. Dazu dient der Safety Integrity Level (SIL).

Um eine Sicherheitseinrichtung zu realisieren, ist es von großem Vorteil, auf Geräte und Komponenten zurückgreifen zu können, für die ein Safety Integrity Level ausgewiesen wird und die zugehörigen sicherheitstechnischen Kenngrößen bekannt sind. Damit ist es dann möglich, den aus einer Risikobetrachtung geforderten SIL für die Sicherheitseinrichtung rechnerisch nachzuweisen. Für die im Explosionsschutz zum ordnungsgemäßen Einsatz kommenden ­Sicherheitseinrichtungen ist entsprechend den Vorgaben nach Richtlinie 94/9/EG in der Regel der Anlagenbetreiber verantwortlich.

Was glauben Sie, welche Anforderungen der Markt in Zukunft an die Sicherheit in der Prozesstechnik stellen wird bzw. welche Entwicklungen es geben wird?

Die Anforderungen an die Sicherheit der Prozesstechnik werden – auch in Anbetracht der Globalisierung der Produktionsmärkte – zunehmen. Dabei werden zunehmend rechnergesteuerte elektrische und elektronisch überwachte Sicherheitseinrichtungen an Bedeutung gewinnen. An die sicherheitstechnische Entwicklung und den technischen Einsatz derartiger Sicherheitssysteme sind sehr hohe Qualitätsanforderungen zu stellen. Sie dürfen weder bei technischem Versagen noch bei „bewusster Beeinflussung von außen“ zum ­sicherheitstechnischen Versagen einer Prozessanlage führen.

Herr Professor Redeker, wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.
(Interview: Lukas Hamm)

Foto: panthermedia / lightwise

Stichwörter:
Prozesstechnik, Kontamination, IBExU Institut, Sicherheitstechnik, Polyehter-Schmierölen, Hochvakuumpumpen, Li-Ionenbatterien, pharmazeutischen Verfahrensanlagen, Staubexplosionsklassen, Sicherheitseinrichtungen,

C&M 4 / 2013

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe C&M 4 / 2013.
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