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Chemikalien sicher transportieren

Verantwortung für Mensch und Umwelt

chemie&more war im Gespräch mit Rechtsanwältin Andrea Heid über aktuelle Gegebenheiten und zukünftige Herausforderung an die Logistik in der chemischen Industrie. Frau Heid leitet den Bereich Umweltschutz, Anlagensicherheit und Verkehr im Verband der ­Chemischen Industrie e.V. (VCI) in Frankfurt/M.

„Globalisierung“ und „Just-in-time-Produktion“ sind zwei Begriffe, an denen man die Bedeutung des Transportwesens in der heutigen Zeit verdeutlichen kann. Alleine in Deutschland werden täglich ­Millionen ­von Tonnen an Gütern transportiert. Der Transport von ­gefährlichen Gütern in der Chemie- und Pharmaindustrie birgt über den üblichen Rahmen hinaus weitere Gefahren. Ein großes Ziel ist es, die Gefahren für Mensch Tier und Umwelt möglichst gering zu halten.

chemie&more: In der chemischen und pharmazeutischen Industrie spielt der tägliche Transport von gefährlichen Gütern eine wichtige Rolle. Zunächst eine grundsätzliche Frage: Wann ist ein Stoff ein Gefahrgut und wie kann dieser kategorisiert werden?

Andrea Heid: Gefahrgüter sind Stoffe oder Gegenstände, von denen aufgrund ihrer Natur, ihrer Eigenschaften oder ihres Zustandes im Zusammenhang mit der Beförderung Gefahren ausgehen können. Solche Gefahren, die bei Unfällen oder bei unsachgemäßer Behandlung von gefährlichen Gütern zum Tragen kommen können, sind beispielsweise Entzündbarkeit, Giftigkeit, Ätzwirkung.

Gefahrgüter werden in insgesamt 15 Klassen eingeteilt; zum Beispiel Klasse 1 Sprengstoffe, Klasse 3 entzündbare flüssige Stoffe, Klasse 6.1 giftige Stoffe. Innerhalb der Klassen erfolgen weitere Spezifizierungen. Die einzelnen Gefahrgüter erhalten eine international gültige UN-Nummer, die in einer Tabelle (ADR-Liste) erfasst ist. Daraus sind wichtige Informationen zu entnehmen wie Gefahrenklasse, Verpackungs-, Kennzeichnungs- und Beförderungsvorschriften.

Können Sie uns einen Überblick geben, mit welchen Herausforderungen in Bezug auf gefährliche Güter die Unternehmen im Alltag zu tun haben?

Die Unternehmen müssen auf sehr viele Vorschriften achten, damit der Gefahrguttransport sicher durchgeführt werden kann. Zunächst müssen sie den zu transportierenden Stoff klassifizieren: Auf Grundlage seiner Eigenschaften ist zu definieren, welcher Klasse er zuzuordnen ist und welche UN-Nummer er haben muss. Danach ist festzulegen, auf welchem Weg er überhaupt befördert werden darf – zum Beispiel mit der Eisenbahn oder auf der Straße – und welche Umschließung, beispielsweise Tankcontainer, oder Verpackung, Kanister zum Beispiel, dafür verwendet werden kann. Diese Behältnisse sind vor dem Transport zu kennzeichnen, Beförderungsdokumente müssen erstellt werden. Darüber hinaus werden zahlreiche weitere Anforderungen gestellt. Sie betreffen unter ­anderem die Ladungs­sicherung und die Schulung der am Gefahrguttransport beteiligten Personen.

Welche Rolle spielt hier der VCI und wie ­gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen dem Verband und den Unternehmen?

Der VCI unterstützt seine Mitglieder auf ­unterschiedlicher Weise: So geben wir Hilfestellungen bei der Anwendung der Vorschriften. Dazu haben wir eine Reihe von Leitlinien und Leitfäden zum Gefahrguttransport herausgegeben wie die Leitlinie zur Beförderung gefährlicher Güter im PKW/Kombi oder die Leitlinie Training im Gefahrguttransport. Als VCI sind wir auch an der Rechtsfortentwicklung beteiligt. Durch technische Entwicklungen und neue Erkenntnisse werden die Gefahrgutvorschriften häufig geändert. Hier bringen wir in die rechtsetzenden Gremien die Erkenntnisse aus der Praxis ein; achten aber auch darauf, inwieweit die Vorschriften überhaupt umsetzbar sind.

Im November 2013 informierten Sie Ihre Mitgliederunternehmen über wichtige Änderungen im kommenden Jahr. Gibt es gravierende Änderungen im Gefahrgutrecht, welche die Unternehmen zu bewältigen haben?

Die Gefahrgutvorschriften für den Straßen-, Schienen- und Schiffsverkehr unterliegen jedes zweite Jahr einer „großen“ Änderung, eine solche steht erst 2015 wieder an. 2014 müssen sich die Unternehmen hier also nur auf „kleine“ Änderungen einstellen, beispielsweise bei der Kennzeichnung von Versandstücken. Darauf haben wir bei unserer ­Infoveranstaltung hingewiesen. Darüber hinaus haben wir aber auch schon die Änderungen angesprochen, die für 2015 zu erwarten sind. Vielfach sind an solche Neuerungen in den Unternehmen Prozesse aufwändig anzupassen, deshalb ist eine ausreichend lange Vorbereitungszeit sinnvoll. Darüber hinaus ­haben wir verschiedene, besonders aktuelle Themen erläutert, beispielsweise die Beförderung von (Lithium-) Batterien, Trockeneis und ungereinigten leeren Verpackungen. Als Ergänzung zu der Vortragsveranstaltung gibt es einen VCI-Leitfaden Vorschriftenänderungen 2013/2014, der auch auf die ab 2014 geltenden neuen Luftverkehrsvorschriften eingeht.

Zurück zum Transport. Im Jahr 2012 wurden in Deutschland rund 254 Mio. Tonnen chemische Stoffe transportiert. Flugzeuge, Containerschiffe, Lastwagen oder Güterzüge sind mögliche Transportmittel. Gibt es beim Transport von Gefahrgütern ein bevorzugtes Transportmittel? Lässt sich da eine Verteilung auf die verschiedenen Möglichkeiten abschätzen?

Für die deutsche Chemie ist die Pipeline ebenfalls ein bedeutendes Transportmittel mit Zukunft. Gegenwärtig verantworten die VCI-Mitglieder den Transport von rund 96 Millionen (2011) Tonnen Chemikalien. Davon entfällt knapp ein Drittel auf Pipelines. Hinzu kommen 37,2% auf der Straße. Etwa 14,4% transportieren die Chemie­unternehmen auf der Schiene, 10% mit dem Binnenschiff und auf den Seeverkehr entfallen rund 8,2%. Mit dem Flugzeug werden ebenfalls Chemikalien befördert, jedoch nur in vergleichbar sehr geringen Mengen.

Bei aller Sorgfalt lassen sich natürlich Unfälle nicht vermeiden. Was sagt die Sta­tistik über Unfälle, die durch unsachgemäße Handhabung von Gefahrstoffen ausgelöst wurden?

Die Sicherheit beim Chemikalientransport ist ein wesentliches Element im Rahmen der weltweiten Initiative „Responsible ­Care“ der chemischen Industrie. Unsere Mitglieder nehmen ihre Produktverantwortung auch außerhalb der Werkstore sehr ernst und wollen das Risiko beim Transport und Umschlag von Chemikalien für Mensch und Umwelt kontinuierlich weiter verringern – mit vielfältigen Maßnahmen. Hierzu gehört beispielsweise die regelmäßige Aus- und Weiterbildung aller am Transport und Umschlag beteiligten Mitarbeiter in Sicherheits- und Umweltfragen aus. Auch der VCI unterstützt seine Mitglieder und darüber hinaus alle an der Lieferkette Beteiligten mit Leitfäden und Hinweisen zum Gefahrguttransport, um die Umsetzung sicherheitserhöhender Maßnahmen in der Transportpraxis zu erleichtern. Diese Vorgaben sind detaillierter als die gesetzlichen Regelungen. Wir beobachten seit vielen Jahren, dass die Zahl der Unfälle sinkt, bei denen Chemi­kalien austreten. So ereigneten sich 2011 auf der Straße bei Chemikalientransporten rund 30 Unfälle, davon 13 mit Chemikalien­austritt, auf der Schiene kam es zu einem Unfall mit Chemi­ka­lienaustritt. Bei Binnenschiff und Seeschiff kam es jeweils zu einem Unfall ohne Chemikalienaustritt.

Erzählen Sie uns doch in diesem Zusammenhang etwas über das Transport-, Unfall-, Informations- und Hilfeleistungssystem (TUIS)!

Bei Verkehrsunfällen mit Chemikalien sind vor allem die richtigen und schnellen Informationen über das am Unfall beteiligte Produkt notwendig, wenn sich die öffentlichen Gefahrenabwehrkräfte, die als Erste eintreffen, ein Bild von der Lage machen. Später braucht man möglicherweise auch die richtige technische Ausrüstung sowie Kompetenz und vor allem auch Erfahrungen im Umgang mit Chemikalien. Hier bietet TUIS seit 1982 unkomplizierte, rasche Unterstützung für Feuerwehren, Polizei und vergleichbare Kräfte an.

Alle Gefahrenabwehrkräfte in Deutschland sind auf dichten Verkehr mit einem hohen Gütertransportaufkommen und Gefahrguttransporten eingestellt. Aber rund 1.000 Mal im Jahr brauchen sie fachkundige Hilfe: bei Transportunfällen mit Chemikalien. Dann hilft TUIS – ein Netzwerk der deutschen chemischen Industrie an rund 130 Standorten mit Spezialisten und Werkfeuerwehren. TUIS hilft an jedem Unfallort, ob auf Landstraßen oder Autobahnen, auf Bahnstrecken oder in Bahnhöfen, auf Binnenwasserstraßen oder in Häfen beziehungsweise auf See oder einfach nur im Lager am Stadtrand.

Die Unterstützung reicht von der telefonischen Beratung (Stufe 1) über die Beratung vor Ort (Stufe 2) bis hin zur technischen Hilfe (Stufe 3). TUIS steht bundesweit ganzjährig rund um die Uhr mit seinen gut ausgebildeten Chemie-Werkfeuerwehrleuten zur Ver­fügung. Aber auch Umweltchemiker, Toxikologen oder andere Fachleute, die bei besonderen Chemikalien oder biologischen Stoffen helfen können, zählen zum Netzwerk. Wichtig ist jedoch: Der Einsatzleiter am Unfallort entscheidet, ob er TUIS zurate zieht und TUIS helfen lässt.

Frau RA Heid, herzlichen Dank für das Gespräch.

(Interview: Lukas Hamm)
Foto: Collage - © panthermedia.net, Sven Weber mihtiander

Stichwörter:
Logistik, Umweltschutz, Anlagensicherheit, Verkehr, Pharmaindustrie,

C&M 1 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe C&M 1 / 2014.
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