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Energieautarke Systeme in der Prozessautomation

Energy Harvesting

Messtechnik und Prozessautomation aus deutscher Produktion ­erwirtschafteten nach Aussagen des ZVEI im Jahr 2011 mit einer ­Beschäftigtenzahl von annähernd 100.000 Mitarbeitern einen Umsatz von 17,8 Mrd. Euro. Die Frage, welcher Anteil dieses Umsatzes in 2011 durch energieautarke Systeme erwirtschaftet wurde, ist sehr einfach zu beantworten: faktisch keiner.

Dennoch zeigen jüngste Entwicklungen und Produkteinführungen, dass die Themen „Energy Harvesting“ und „energieautarke Systeme“ inzwischen auch in der Prozessautomation angekommen sind und dort auf ein hohes Potenzial stoßen.

Was ist das?

Mit Energy Harvesting bezeichnet man eine Technik der Energieversorgung, die eingebettete Systeme, denkbar wären sowohl Sensoren als auch Aktuatoren, am Ort ihrer Applikation energieautark betreibt. Dazu wird Energie aus der unmittelbaren Umgebung des eingebetteten Systems „geerntet“, z.B. durch die Umwandlung thermischer, mechanischer, chemischer oder optischer Energie in elektrische Energie. Diese „Energieernte“ geschieht mithilfe spezifischer Generatoren: Piezoelektrische oder elektromagnetische Generatoren erzeugen z.B. elektrische Energie aus Vibrationen, Stößen oder Bewegung, thermoelektrische Generatoren nutzen Wärmeströme, Brennstoffzellen die chemische Umwandlung geeigneter Treibstoffe und schließlich photovoltaische Zellen das am Anwendungsort vorhandene Strahlungsspektrum.

Der Charme dieses Energieversorgungskonzeptes besteht darin, dass die Nachteile bisheriger Konzepte zur Energieversorgung verteilter, eingebetteter Systeme vermieden werden, während gleichzeitig neue, bisher nicht realisierbare Vorteile aus der Anwendung energieautarker Systeme erwachsen können. Batterien, deren Betriebsfenster durch Temperatur-, Vibrations- oder Feuchteeinflüsse ohnehin begrenzt ist, werden teilweise oder ganz ersetzt, wodurch die Kosten für Austausch, Wartung und Entsorgung deutlich reduziert werden. Ebenso sind Kabelsysteme, in ihrer Installation, ­Erweiterung und Wartung teuer, komplex und störungsanfällig, nicht mehr erforderlich. Die eingebetteten Systeme kommunizieren drahtlos, sind dadurch buchstäblich einfacher in eine Anwendung oder Anlage „einbettbar“ und in ihrer Funktion wartungsfrei. Ein Sensorsystem kann ohne großen Aufwand durch einfaches Hinzufügen von Messgeräten erweitert werden. Störungen werden durch ein intelligentes Leitstellenmanagement präzise lokalisiert, Reparaturarbeiten oder der Austausch defekter Systeme sind damit klar definierbar und entsprechend schnell durchgeführt.

Prozessautomation

Diese – manchmal allzu positiv – dargestellte Perspektive ist jedoch für jeden Anwendungsbereich getrennt und kritisch zu bewerten: Aspekte der Betriebssicherheit sind dabei genauso zu berücksichtigen wie die Sicherheit und Redundanz der drahtlosen Datenübertragung, dies alles im Kontext einer Gesamtkostenrechnung. Es ist interessant zu beobachten, dass gerade die Prozessautomation in dieser Hinsicht ein sehr günstiges Anwendungsfenster eröffnet. Warum?

Chemische Prozesse benötigen in der ­Regel die Zufuhr mechanischer und thermischer Energie bzw. erzeugen diese selbst. ­Dadurch bilden chemische Anlagen und Produktionsprozesse buchstäblich eine „reiche Quelle“ für Energy Harvesting, da genug „Abfallenergie“ zur Verfügung steht, z.B. in thermischer oder mechanischer Form.

Die Einbringung einer neuen, kabelgebundenen Messstelle in eine chemische Produktionsanlage ist mit erheblichen Installationskosten für das Kabel- und Datennetz verbunden, u.U. mit Problemen des Explosionsschutzes und ebenso mit Stillstandszeiten. Ähnliches gilt für Wartungsarbeiten und für die Fehlersuche, die nicht nur an einem potenziell schadhaften Feldmessgerät, sondern auch am zugehörigen Kabelnetz erfolgen müssen.

Die drahtlose Datenübertragung findet seit Kurzem auch in der Prozessautomation ihren Eingang. So bietet z.B. die WirelessHART-Plattform seit Kurzem einen herstellerübergreifenden Funkstandard, der kabellose Systeme ermöglicht und zugleich Energy Harvesting als kabellose Technik zur Energieversorgung befördert.


Thermoelektrischer Generator mit 71 Thermopaaren aus Wismuth-Tellurid und Kupfer, hergestellt mittels galvanischer Abscheidung auf einem Silizium-Substrat [1].

Dementsprechend finden sich für die Prozessautomation erste energieautarke Sensorsysteme in Forschung und Anwendung, die alle oben genannten Vorteile kombinieren und dafür aus unterschiedlichsten Energiequellen „ernten“. Dies soll nachfolgend für die Energieformen Wärme und Vibration an Beispielen erläutert werden:

Ein 2013 vorgestelltes, kommerzielles Temperatursensorsystem der Firma ABB nutzt mittels thermoelektrischer Generatoren die Abwärme chemischer Prozesse. Dafür sind zwei Thermogeneratoren (TEGs) in den Messflansch des Sensorsystems integriert. Die Anbindung an die Leitwarte erfolgt über WirelessHART. Diese drahtlose Schnittstelle benötigt laut ABB eine vergleichsweise geringe Betriebsleistung von 1,2mW. Die Thermogeneratoren übernehmen ab einer Temperaturdifferenz von 30K zwischen der Heißseite der Messstelle und der Umgebungsluft die Energieversorgung des Sensorsystems. Ergänzend wird, z.B. für den Anlauf oder das Herunterfahren einer Anlage, auf eine Stützbatterie zurückgegriffen. Durch die Kombination beider Energieversorgungskonzepte kann eine typische Batterielebensdauer von zehn Jahren erreicht werden.


Piezogenerator-Array mit fünf frequenzabgestimmten Piezoschwingern auf einem energieautarken Zugpassage-Erkennungssystem. Im Sensorsystem ist ein ähnliches Array mit zehn Piezoschwingern integriert [2].

Ein ähnliches System wurde von uns im Rahmen eines Förderprojektes der Baden-Württemberg-Stiftung entwickelt, Partner sind das Fraunhofer-ICT, Pfinztal, das Fraunhofer-IPM, Freiburg sowie das Institut für Anorganische Chemie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Dieses drahtlose Sensorsystem nutzt einen neuartigen thermoelektrischen Mikrogenerator, den wir speziell in Hinblick auf geringe Herstellungskosten optimiert haben [1]. Mit einem Leistungsverbrauch von nur 100 µW wird eine Messung und Datenübertragung pro Sekunde durchgeführt, wobei bisher ein offener, unkodierter Funkstandard verwendet wird. Der Leistungsverbrauch dürfte nach Implementierung des WirelessHART-Standards etwa 1mW betragen. Das entspricht einer Temperaturdifferenz von 15 K an einem TEG für das bestehende System und 32K an zwei TEGs für ein System mit WirelessHART. Die aktuell vorliegenden Thermogeneratoren können in ihren Leistungszahlen deutlich verbessert werden, wodurch die benötigten Temperaturdifferenzen, somit die Totzeiten im Anlauf, weiter reduziert werden können.

Neben Temperatur und Wärmefluss sind Vibrationen eine geeignete Energiequelle, speziell für energieautarke Systeme zur Maschinenzustandsüberwachung. Ein entsprechendes Generatorsystem der britischen Firma Perpetuum beruht auf einem elektromagnetischen Vibrationswandler. In einer Zusammenarbeit mit General Electric wurde bereits vor fünf Jahren GEs wSim-Konzept zu einem energieautarken System erweitert. Hierzu wird ein Generator der Firma Perpetuum modular an den wSim-Funksensorknoten angeflanscht. Die Energieversorgung erfolgt wiederum im Mischbetrieb durch den angeschlossenen Generator und eine integrierten Batterie. Ein ähnliches Konzept entstand aus einer Kooperation mit der Firma Prüftechnik. Der 2007 vorgestellte Prototyp „VIBNODE RFA“ beinhaltet einen Vibrationswandler, Sensorschnittstellen zur Erfassung von Temperatur und Vibration sowie ein Drahtlos-Interface. Als Alternative zu elektromagnetischen Generatoren stehen piezoelektrische Vibrationswandler zur Verfügung. Entsprechende Bauelemente sind heute von mehreren Anbietern kommerziell verfügbar: Sie bestehen im einfachsten Fall aus einem Streifen piezoelektrischen Materials mit aufliegenden Elektroden, der durch Anbringen einer seismischen Masse und Montage in einem passenden Gehäuse als Vibrationswandler konfektioniert werden kann. Dabei ist, wie bei fast jedem Vibrationswandler, zu bedenken, dass der Generator ein Maximum an Energie nur dann liefert, wenn die Frequenz der anregenden Schwingung mit seiner – konstanten – Resonanzfrequenz zusammenfällt. Das wäre bspw. bei synchron laufenden Elektromotoren realisierbar. Durch den Einsatz von Generatorarrays kann jedoch auch Energie aus einem größeren Frequenzbereich geerntet werden. Wir haben das im Bereich Verkehrsüberwachung beispielhaft mit einem energieautarken Zugpassage-Erkennungssystem demonstriert: Ein am Gleisbett montiertes Array aus zehn Piezogeneratoren erntet hierbei Vibrationsenergie in einem Frequenzband zwischen 400 und 500 Hz, die entsteht, wenn ein Zug das Gleis an der entsprechenden Stelle passiert [2]. Eine ähnliche Situation findet sich in der Prozessüberwachung an drehzahlvariablen Antrieben.

Fazit

Diese kurze Zusammenstellung aktueller Beispiele zu energieautarken Systemen in der Prozessautomation zeigt, dass sich in diesem Bereich in letzter Zeit einiges in Bewegung setzt. Mit gutem Grund ist Wärme die Speiseenergie für das aktuellste Produkt: Prozess- und Abwärme aus chemischen Prozessen sind in großer Menge verfügbar und mit Thermogeneratoren problemlos in elektrische Energie zu wandeln. Vorteilhaft ist dabei der Verzicht auf bewegte Teile im Generator, seine lange Lebensdauer und seine hohe Zuverlässigkeit. Die geringe Effizienz des thermoelektrischen Wandlungsprozesses, häufig als Kritikpunkt angeführt, ist kaum relevant, da mehr als genug an thermischer Energie verfügbar ist. Im Vergleich dazu dürften Vibrationswandler, obwohl vereinzelt wesentlich früher im Markt, zunächst nur verhalten in neue Produkte integriert werden. Ihre Anwendung erfordert eine wesentlich exaktere Anpassung des Generators an die jeweilige Anwendung – unter Berücksichtigung von Frequenzspektrum, Anregungsamplituden und Überlastfällen. Dennoch zeigen Beispielanwendungen auch für diesen Generatortyp Potenzial. Insgesamt werden die schlagenden Vorteile drahtloser, energieautarker Systeme, wie kabelloser Betrieb, weitgehende Wartungsfreiheit, einfache Installation und deutlich reduzierte Cost-of-Ownership für zahlreiche Anwendungsszenarien der Prozessautomation mittel- und langfristig den Durchbruch erbringen.

Literatur

[1] Roth,Rostek,Cobry,Woias (2013) „Doppelresist-Prozess zur Herstellung eines Mikro-Thermogenerators im cross-plane Design mit reflowgelöteten Kontakten“ Tagungsband MST Kongress 2013, 115-118
[2] Wischke, Masur, Kroener, Woias (2011) “Vibration harvesting in traffic tunnels to power wireless sensor nodes” Smart Materials and Structures 20, 085014

Bild: © 123rf.com | fineart; panthermedia.com | ku2raza, arcady31

C&M 3 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe C&M 3 / 2014.
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